Auf der Suche nach dem Twitter-Ersatz: Quo vadis, #IchBinHanna?
Unsere Initiative #IchBinHanna nahm — wie schon ihre Vorgängerin, die Aktion #95vsWissZeitVG — ihren Anfang auf Twitter. Seit seiner Übernahme der Plattform hat Elon Musk damit allerlei destruktive Dinge angestellt. Dass die Entwicklungen bedenklich stimmen, wäre untertrieben. Für eine Initiative wie die unsrige wirft all das die Frage auf, wie es weitergehen soll — und vor allem: wo. Der Bedarf, eine gemeinsame textbasierte Social-Media-Plattform zu haben, besteht offensichtlich weiterhin. Das zeigt sich etwa an dem großen Run auf Bluesky, den wir am vergangenen Wochenende beobachten konnten.
Also ziehen wir jetzt alle um zu Bluesky? Oder doch zu Mastodon? Warten wir auf Threads? Oder verlegen wir uns gar auf LinkedIn? Und: Lassen wir das mit X/Twitter bleiben? Um diese Fragen zu beantworten, scheint es mir lohnenswert, zunächst zu überlegen, was eine Plattform können muss, damit eine Initiative wie #IchBinHanna dort weiterhin das findet, was es auf Twitter ehemals gab (und was nunmehr auch auf X/Twitter nicht mehr in Gänze gegeben ist, dazu später mehr). Drei Faktoren scheinen mir maßgeblich dafür, dass eine Plattform unserer Initiative eine brauchbare Basis bietet: 1) Vernetzung und Austausch, 2) Reichweite und 3) Erreichbarkeit von Journalist_innen und Entscheider_innen.
1) Vernetzung und Austausch
Zunächst zum ersten Punkt: Vernetzung und Austausch. Auch unsere 95 Thesen gegen das Wissenschaftszeitvertragsgesetz haben schon mediale Aufmerksamkeit erregt, aber bei Weitem nicht in dem Maße wie #IchBinHanna. Warum? Dafür gibt es wohl einerseits Gründe, die mit der Plattform als solcher und ihren Funktionsweisen eher wenig zu tun haben. Dazu zählt etwa die Ausrichtung der Initiativen: Die 95 Thesen waren abstrakte Problembeschreibungen. #IchBinHanna hat, wie Sebastian Kubon es im allerersten Hanna-Tweet ebenso treffend wie prophetisch geschrieben hat, denjenigen ein Gesicht gegeben, die die beschriebenen Probleme ausbaden müssen — und damit anschaulich gemacht, was das WissZeitVG mit den in der Wissenschaft tätigen Menschen und ihrem Leben macht. Diese persönlichen Geschichten haben anders berührt und aufgerüttelt als die abstrakten Analysen zuvor.
Aber das ist nicht alles: Dass sich überhaupt so viele von uns derart öffentlich exponiert haben — eine große Zahl mit Klarnamen, Fotos, persönlichen Einblicken — war durchaus der Plattform und ihren Möglichkeiten zu verdanken. Denn: Durch die akademischen Netzwerke und den Austausch mit anderen Wissenschaftler_innen — beides schon vor #IchBinHanna auf Twitter etabliert — konnten überhaupt erst andere Wissenschaftler_innen von der Initiative mitbekommen. Und je mehr es wurden, desto mehr haben sich getraut, einzusteigen. Wir standen nicht allein exponiert im Rampenlicht, nein, wir waren viele, und mit jeder_jedem von uns, die_der in diesen Chor eingestimmt ist, wurde nicht nur das Ausmaß der Probleme deutlicher, sondern auch deren Natur: Was viele für individuelles Versagen gehalten hatten, wurde plötzlich als strukturelle Problematik sichtbar.
Vernetzung und Austausch waren aber nicht nur in den Anfängen nötig, sie sind bis heute ein zentraler Aspekt unserer Community: gegenseitige Unterstützung, Solidarität untereinander. Es ist berührend, was sich da immer wieder an Positivem ereignet, und die Vorstellung, dass das verschwinden könnte, finde ich äußerst bedrückend.
2) Reichweite
Es ist aber nicht allein der Austausch der Community untereinander, der für #IchBinHanna zentral war und ist. Das, was viele von Twitters schlechten Seiten (auch schon vor der Übernahme durch Musk) ermöglicht, ist zugleich ein elementarer Aspekt für unsere Initiative gewesen: Durch die Algorithmen war (und ist) es möglich, Inhalten viel Reichweite zu verschaffen. Inhalte, mit denen viel Interaktion stattfindet, können so raus aus der eigenen Bubble befördert werden. Das war bei uns der Fall: Wir waren plötzlich in den deutschen Twitter-Trends, einige Hanna-Tweets hatten über 1.000, teils sogar über 2.000 Likes. Das Thema fand Eingang in eine breitere öffentliche Diskussion, das BMBF konnte es weder ignorieren noch kleinreden. Es gab auf einmal große mediale Aufmerksamkeit (die bis heute ungebrochen ist).
Wir haben es zuletzt bei der Diskussion um das WissZeitVG-Eckpunktepapier und die wichtige Initiative #ProfsFürHanna #ProfsFürReyhan gesehen: Twitter generierte Reichweite für die berechtigte Kritik an den Eckpunkten, und das erzeugte an einem Wochenende so großen Druck, dass die Ampel die Eckpunkte zurückzog. Das alles zeigt: Es braucht Mechanismen, die Reichweite erzeugen. Entsprechende Algorithmen auf Twitter/X konnten das leisten; außerdem Features wie Retweets, Quote Tweets usw.
3) Erreichbarkeit von Journalist_innen und Entscheider_innen
Dass #IchBinHanna zu dem wurde, was es heute ist, lag jedoch nicht allein am Austausch und den Netzwerken der Hannas und daran, dass die prekären Arbeitsbedingungen in der deutschen Wissenschaft plötzlich auch darüber hinaus sichtbar wurden. Einen wesentlichen Anteil daran, dass die Initiative so Fahrt aufnehmen konnte, hatte und hat die Arbeit von Journalist_innen. Sie haben das Thema früh aufgegriffen und dabei auch die Stimmen der wissenschaftlichen Mitarbeiter_innen verstärkt, die vorher zumeist gar nicht erst gehört wurden. Sehr viele Journalist_innen waren/sind auf Twitter (auch, wenn nicht alle aktiv posten, aber viele haben mir in den letzten Jahren gesagt, dass sie mitlesen), und wir haben darüber einen direkten Draht zu ihnen.
Ebenso konnten wir auch Entscheider_innen — sei es Politiker_innen in Bund und Ländern, Wissenschaftsorganisationen oder Hochschulleitungen — direkt erreichen. Sie wurden ebenfalls mit der Kritik und unseren Anliegen konfrontiert, bis es unmöglich war, diese zu ignorieren.
Multi-Plattform-Posting bis zum Kipppunkt
Und wo ist sie nun, die Alternative zu Twitter, die all das leisten kann? Die Wahrheit ist: Es gibt sie (noch) nicht. Mastodon, wo viele von uns (mich eingeschlossen) sich bereits vor etwa einem Jahr angemeldet haben, hat sich bislang nicht als breit anschlussfähige Alternative durchsetzen können. Das mag man falsch oder richtig finden, zunächst aber ist es eine Tatsache, mit der wir arbeiten müssen. Plus: Es fehlen hier Algorithmen, die die große Reichweite erzeugen, die es braucht, um die eigene Bubble zu verlassen.
Bluesky ist noch in den Anfängen, es gibt etwa keine Hashtags, was für uns natürlich ein großer Nachteil ist. Was sich dort noch verändern wird und ob die Anfangseuphorie vieler tatsächlich berechtigt ist, lässt sich derzeit nicht absehen. Plus: Es braucht einen Einladungscode, um überhaupt hineinzukommen.
LinkedIn passt mit seinen Erfolgsnarrativen und seiner Selbstvermarktung nur mäßig zu dem, was #IchBinHanna ausmacht (zumal dort auch Memes und andere Ausdrucksformen, auf die die #IchBinHanna-Community immer wieder gern zurückgreift, mindestens deplatziert wirken).
Und Twitter/X? Nun, die Reichweiten, die dort erzielt werden konnten, erzielen viele dort aktuell nicht mehr. (In den Analytics zu den Impressions lässt sich der individuelle Reichweiten-Einbruch nachvollziehen, die Ergebnisse sind teils alarmierend.) Aber dennoch haben wir dort mit #IchBinHanna nach wie vor die größte Reichweite. Viele von uns — sowie auch Entscheider_innen und Journalist_innen — sind weiterhin dort.
Möglicherweise kommt schon bald der Kipppunkt, an dem sich eine Plattform als die Alternative zu Twitter herauskristallisiert. Weil sich aber aktuell nicht abzeichnet, welche Plattform X/Twitter ablösen wird und inwieweit sie die oben genannten Anforderungen wird erfüllen können, werde ich deshalb bis auf Weiteres auch weiterhin alle relevanten #IchBinHanna-Inhalte auf X/Twitter, Mastodon, Bluesky und ggf. LinkedIn teilen. Denn wenn es eine X/Twitter-Nachfolge geben wird (dass es überhaupt so kommt, ist ja auch nicht ausgemacht), wird am Ende die Community (nicht nur die der Hannas, sondern die der Nutzer_innen insgesamt) eine Plattform dafür auswählen. Wir können aktuell nur allen so umfangreich wie möglich die Option geben, verschiedene Plattformen auszuprobieren, als Grundlage für eine informierte Entscheidung, welche sie (nicht) nutzen wollen. Etwa über die Aktion, auf X/Twitter Invite-Code-Gesuche und Angebote für Bluesky aus der #IchBinHanna-Community zusammenzubringen. Zugleich können wir hoffen, dass auch Musk unter Druck gerät, wenn Nutzer_innen sich zunehmend nach Alternativen umsehen.
Die Geschichte von #IchBinHanna ist noch nicht zu Ende erzählt — und ich bin zuversichtlich, dass wir als Community uns dafür weiter Gehör verschaffen werden. Auch, wenn wir dafür eine Weile auf verschiedenen Plattformen laut sein müssen.