Behind The Scenes von #IchBinHanna: Drei Jahre „95 Thesen gegen das Wissenschaftszeitvertragsgesetz“
Ein Gastbeitrag von Kristin Eichhorn
Zum dreijährigen Jubiläum der 95 Thesen gegen das WissZeitVG bekommt dieser Newsletter ein besonderes Geschenk: Kristin Eichhorn gewährt in ihrem heutigen Gastbeitrag einen Blick hinter die Kulissen der gemeinsamen wissenschaftspolitischen Arbeit, die sie, Sebastian Kubon und mich seit dem 31.10.2020 miteinander verbindet. Eine Verbindung, die ich nicht mehr missen will — und das nicht nur wegen unserer Erfolge als Verbündete in der gemeinsamen Sache, sondern auch, weil Kristin und Sebastian mir als Freund_innen ans Herz gewachsen sind. All das ein Grund zu feiern, und den Anfang macht Kristin Eichhorns Text:
Heute vor drei Jahren schrieb Sebastian Kubon einen Tweet, in dem er vorschlug, 95 Thesen gegen das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) zu sammeln, was Amrei Bahr mit der Antwort „Sehr gute Idee! Let’s do this! (Also: Ernsthaft!)“ enthusiastisch aufnahm. Die wissenschaftliche Community lieferte damals auf Twitter schnell reichlich Material für dieses Vorhaben, kurz: #95vsWissZeitVG. Die redaktionelle Zusammenstellung dieser Thesen hat uns drei zusammengebracht und damit auch die Grundlage für die noch bekanntere Initiative #IchBinHanna aus dem Juni 2021 gelegt, mit der wir in der Regel inzwischen vorgestellt werden.
Nun arbeiten wir also schon drei Jahre gemeinsam an der Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft und es ist eine besondere Zusammenarbeit — nicht nur wegen der Wellen, die sie zu schlagen in der Lage ist, sondern vor allem wegen der Aspekte, die öffentlich eher unsichtbar sind. Und weil mir oft in Gesprächen die Frage begegnet, wie das eigentlich funktioniert, möchte ich diesen Tag zum Anlass nehmen, eine kleine Antwort zu geben, die ja auch ein wenig Einblick in die Prozesse gewährt, die es braucht, um (wissenschafts-)politisches Engagement auf Dauer aufrechtzuerhalten.
Digitale Kommunikation
Das erste Spezifikum unserer Zusammenarbeit: Wir haben sie nicht nur pandemiebedingt, sondern auch aufgrund unterschiedlicher Wohnorte rein digital begonnen und kannten einander vor dem 31. Oktober 2020 eigentlich gar nicht. Die 95 Thesen haben einiges an Koordinationsaufwand erfordert, den wir über einen Gruppenchat und E-Mails sowie (deutlich seltener) Videokonferenzen bewältigten. So haben wir anderthalb Jahre lang ausschließlich digital kommuniziert, ohne uns je persönlich getroffen zu haben. Dies änderte sich 2022, allerdings auch nur in Maßen, denn bis heute sind wir uns stets nur in Zweierkonstellationen begegnet, waren aber niemals alle gleichzeitig am selben Ort. Sebastians Hoffnung aus dem November 2020 („Vielleicht treffen wir uns jetzt mal persönlich“) ist also in gewisser Weise immer noch ein unabgeschlossenes Projekt.
Entsprechend ist der Chat — der sich mit der Zeit von Twitter in einen Messenger-Dienst verlagert hat — unser zentrales Kommunikationsinstrument geblieben und eine Standleitung, über die wir anstehende Fragen meist innerhalb einiger Minuten klären können. Mit wenigen Ausnahmen vergeht seit drei Jahren eigentlich kaum ein Tag, an dem wir nicht in irgendeiner Weise miteinander in Kontakt treten: Wir stimmen ab, wer eine Vortrags- oder Interviewanfrage übernimmt, klären die Richtung unserer Stellungnahmen, geben Informationen weiter und diskutieren, wie wir auf bestimmte Diskursentwicklungen reagieren, die ja in der Dynamik der Sozialen Medien häufig sehr schnelle Reaktionen erfordern. Ich weiß noch, wie #IchBinHanna zustande kam, was für unsere Arbeitsweise sehr typisch ist: Amrei hatte auf das BMBF-Video zum WissZeitVG hingewiesen und wir haben uns kurz darüber ausgetauscht. Ich war dann die Erste, die das Video auf Twitter geteilt hat. Sebastian schließlich erfand den Hashtag #IchBinHanna und sprach ihn mit uns ab, bevor er seinen berühmten ersten Tweet dazu absetzte — der Rest ist sozusagen Geschichte: die Geschichte, die wir seither bis zum Abwinken immer wieder erzählen.
Gemeinsame Werte und Commitment
Warum funktioniert das, gerade vor dem Hintergrund, dass der persönliche Austausch von vielen Menschen als zentrale Voraussetzung für eine gute Zusammenarbeit empfunden wird? Erstens: Wir ergänzen uns in unseren Perspektiven und Arbeitsweisen hervorragend. Ich kann mich nicht an eine Konstellation erinnern, in der das Schreiben gemeinsamer Texte so reibungslos und produktiv abgelaufen wäre wie in dieser — und wir haben inzwischen wirklich sehr, sehr viele Texte geschrieben …
Der zweite Grund: Wir teilen ein gemeinsames Ziel und sind uns in den grundsätzlichen Aspekten einig, was die Richtung und die strategischen Linien betrifft. Die dreifache Elternschaft, von der wir gerne scherzhaft in Bezug auf #IchBinHanna sprechen, ist ein durchaus passendes Bild. Denn uns ist gleichermaßen am Wohl unseres ‚Kindes‘ gelegen und wir wissen, dass das, worauf wir uns da eingelassen haben, ein Langzeitprojekt ist, das unser anhaltendes Commitment braucht, um eine Chance auf Erfolg zu haben.
Wie oft verpuffen vielversprechende aktivistische Vorhaben, weil es zwar Menschen gibt, die gute Ideen haben und kurzzeitig eine Menge Energie investieren können, es jedoch aus verschiedenen Gründen nicht gelingt, diesen Zustand auf Dauer zu stellen? Nachhaltigkeit ist gerade im wissenschaftspolitischen Engagement keine Selbstverständlichkeit, weil die Karrierewege so unsicher sind und die Arbeitslast so ungemein hoch.
Lehren für die hochschulpolitische Arbeit
Die Zusammenarbeit in fester Dreierbesetzung erweist sich für uns immer wieder als großer Vorteil, zumal sie uns als Individuen (und nicht nur als abstraktes Netzwerk, Vereinigung oder Ähnliches) sichtbar macht. Wir können das Anliegende so aufteilen, wie es unseren Präferenzen und speziellen Stärken am besten entspricht. Es ist völlig normal, dass wir einander Aufgaben abnehmen, wenn aufgrund bestimmter Lebensumstände irgendwo die Zeit nicht reicht. Und auch, wenn das punktuell zu Schieflagen führt, die wir später wieder ausgleichen müssen, bleibt im Kern alles wie gehabt: Ein dreibeiniger Tisch wackelt eben nicht.
Trotzdem ist vieles von dem, was #95vsWissZeitVG und #IchBinHanna so stark gemacht hat und am Leben erhält, ein Zusammentreffen glücklicher Umstände — angefangen damit, dass wir zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren, den es so inzwischen auch nicht mehr gibt. Was wir in der Vergangenheit so oft gesagt haben, gilt nach wie vor: Ohne die lautstarke Beteiligung der vielen, die sich immer wieder zu Wort melden und die uns überhaupt erst die Möglichkeit geben, in bekannter Manier öffentlich und politisch zu agieren, wären wir nicht da, wo wir sind. Immer wurden wir auch von Ereignissen angeregt, die nicht in unserem Einflussbereich lagen, sich aber gut für die Skandalisierung in den Sozialen Medien nutzen ließen. Das Erklärvideo zum WissZeitVG mit seinem oft zitierten Satz, dass „eine Generation nicht alle Stellen verstopf[en]“ solle, ist wahrlich nicht auf unserem Mist gewachsen — genauso wenig wie die Formulierung #ACertainDegreeOfFlexibility, aus der wir auch einen recht virulenten Hashtag machen konnten.
Seit drei Jahren nutzen wir die Gelegenheiten, die sich uns bieten, und tun es hoffentlich noch lange Zeit in der bewährten Weise. Schließlich wollen wir irgendwann wirklich ein besseres Wissenschaftssystem und sind entsprechend dankbar für alle, die sich — auf welcher Ebene auch immer — im Rahmen ihrer Möglichkeiten dafür einsetzen und so schrittweise Veränderungen in Gang bringen. Klingt wie eine sehr gute Idee? Eben. Deshalb: Let’s do this! (Also: Ernsthaft!)