Drittmittel anzählen! Warum Dritt- in Grundmittel umgewandelt werden sollten
Herzlich willkommen zurück zur ersten Ausgabe dieses Newsletters nach der Sommerpause! Diesen Herbst wird sicherlich erneut das Wissenschaftszeitvertragsgesetz in unser aller Fokus sein – schließlich geht es weiter mit dem parlamentarischen Verfahren. Umso wichtiger, dass wir jetzt noch einmal gemeinsam laut werden für faire gesetzliche Rahmenbedingungen in der deutschen Wissenschaft!
Klar ist aber auch: Das WissZeitVG ist eine wichtige Stellschraube, um das deutsche Wissenschaftssystem zeitgemäß und zukunftsfähig auszugestalten, aber sicher nicht die einzige. Ehe es wieder rund geht mit der Debatte ums WissZeitVG, dreht sich der heutige Newsletter deshalb zunächst um eine andere: die Finanzierung von Forschung in Deutschland.
Zur Position des Wissenschaftsrats: Es gibt keine richtige Forschungsfinanzierung in der falschen
Der Wissenschaftsrat hat zu Beginn des Jahres in einem Positionspapier das gegenwärtige Verhältnis von Drittmittel- zu Grundfinanzierung aus guten Gründen deutlich bemängelt:
„Das aktuelle System der Forschungsfinanzierung, in dem Drittmittel ein ähnliches Gewicht gewonnen haben wie Grundmittel für Forschung, ist an seine Grenzen gelangt. Damit sowohl Grund- als auch Drittmittel bestmöglich der Forschung zugutekommen, bedarf es einer Neujustierung von Grund- und Projektfinanzierung.“ (S. 8)
Der Schluss, den der Wissenschaftsrat aus dieser Diagnose zieht – eine Erhöhung der Projekt- bzw. Programmpauschalen auf 40% – wirkt dann allerdings eher wie ein mutloser Kompromiss, nicht wie die Neujustierung, deren Bedarf er im Papier so ausdrücklich benannt hat. Erhöhte Pauschalen mögen verhindern, dass das Drittmittelwesen weiter an der Grundfinanzierung nagt, weil aktuelle Pauschalen nicht ausreichen, um die Kosten für die Infrastruktur zu decken, die Drittmittelprojekte benötigen (s. dieser insgesamt sehr lesenswerte Beitrag von Jan-Martin Wiarda).
Dennoch: Keine Projektpauschalen ohne Projekte – damit die erhöhten Pauschalen fließen, müssen also weiterhin Projektanträge verfasst, begutachtet und verwaltet werden. Ein enormer Aufwand, dessen Verhältnismäßigkeit mit Blick auf seinen Ertrag äußerst fragwürdig ist – zumal der Vorschlag des Wissenschaftsrats die Zahl der erfolglosen Anträge aller Voraussicht nach sogar noch erhöhen dürfte. Denn bei gleichbleibenden Budgets und Förderlinien wird der Wettbewerb zusätzlich verschärft: Sind 40% der Mittel für die Pauschalen reserviert, bedeutet das geringere Bewilligungsquoten – eine Konsequenz, die der Wissenschaftsrat selbst einräumt. Eine echte Neujustierung von Grund- und Projektfinanzierung sieht anders aus
Aus Drittmitteln mach Grundmittel
Das bestehende Missverhältnis ließe sich natürlich ausgleichen, indem mehr Geld in die Grundfinanzierung investiert wird – so lange, bis sie gegenüber der Summe der Drittmittel deutlich an Umfang gewonnen hat. Aber selbst, wenn diese Forderung ungehört verhallen sollte (was angesichts der gesamtpolitischen Lage leicht passieren kann), liegt eine andere Möglichkeit zum Ausgleich auf der Hand, die mit den vorhandenen Mitteln auskommt: Die Umwandlung von Drittmitteln in Grundmittel.
Dieser Vorschlag ist nicht neu – und wird durchaus auch in konkreterer Form vorgebracht, etwa bezüglich der Mittel der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). So hat Jan-Martin Wiarda 2021 in seinem Beitrag Warum die Politik DFG-Millionen in Grundmittel umwandeln sollte vorgeschlagen, den bis 2030 über den Pakt für Forschung und Innovation garantierten jährlichen Aufwuchs von drei Prozent (abzüglich eines Teils für den Inflationsausgleich) in die Grundfinanzierung zu überführen (die Rede ist von 230 Millionen Euro).
Im Kontext der Debatte um das WissZeitVG hat Ulrich Radtke, ehemaliger Rektor der Uni Duisburg-Essen, zudem kürzlich in der Forschung & Lehre angeregt, 500 Millionen Euro aus dem Budget der DFG für die Schaffung von Dauerstellen umzuwidmen. Seine Idee: Diese Mittel sollten in Tenure-Programme fließen. DFG-Präsidentin Katja Becker hat diesem Vorschlag im Research.Table-Interview [Paywall] eine Absage erteilt.
Dient die DFG der Wissenschaft – oder sich selbst?
Wenig überraschend, könnte man auf den ersten Blick meinen, schließlich ist es im Interesse der DFG, ihre eigene Stellung im deutschen Wissenschaftssystem zu sichern. Allein: Die DFG ist ein gemeinnütziger Verein – zum Zweck des Vereins hält sie in ihrer Satzung Folgendes fest: „Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert Forschung höchster Qualität“ (§ 1, Absatz 1, Satz 1) und „Die Deutsche Forschungsgemeinschaft handelt in allen ihren Verfahren wissenschaftsgeleitet“ (§ 1, Absatz 2, Satz 1).
Welche wissenschaftlichen Belege mag die DFG wohl dafür haben, dass Forschung höchster Qualität allein durch zeitlich befristete Projektforschung erfolgen kann? An der Effizienz der Drittmittelforschung bestehen aus wissenschaftlicher Perspektive schließlich im Gegenteil sogar erhebliche Zweifel (s. etwa hier oder hier), was eine teilweise Umwidmung der Mittel zur Schaffung eines soliden Fundaments für Forschung durchaus nahelegt. Denn das Ziel, Forschung höchster Qualität zu fördern, sollte doch wohl stärker gewichtet werden als der Erhalt der DFG in ihrer gegenwärtigen Form und mit ihrem aktuellen Budget. Schließlich bekommt die DFG ihren Etat, um damit Forschung zu fördern, nicht sich selbst.
Zur Einordnung sei außerdem darauf hingewiesen, dass die vorliegenden Vorschläge einen vergleichsweise geringen Teil des Gesamtbudgets der DFG betreffen – nach eigenen Angaben hat sie im Jahr 2022 Projekte mit einer Gesamtsumme von 3,9 Milliarden Euro gefördert.
Zukunftsvertrag, aber für Forschung
Wer Drittmittelanträge vorbereitet, begutachtet und verwaltet, investiert dafür enorm viel Zeit, die stattdessen in die Forschung fließen könnte, wenn Hochschulen eine auskömmliche Grundfinanzierung hätten. Was wir dringend brauchen, ist deshalb eine politische Debatte, die die Diagnose des Wissenschaftsrats ernst nimmt und in der sich die Beteiligten nicht scheuen, auch eine Beschneidung des Budgets der DFG (die sich übrigens zu 99% aus Mitteln des Bundes und der Länder finanziert) sowie eine Reduktion kompetitiver Drittmittelprogramme des BMBF zugunsten der Grundfinanzierung ernsthaft zu diskutieren. Denkbar wäre, aus den dadurch gewonnenen Mitteln ein Äquivalent zum Zukunftsvertrag aufzusetzen, dann aber zur Stärkung der Forschung statt der Lehre. Dabei können dann auch gleich die Einsichten bezüglich des Zukunftsvertrags produktiv aufgegriffen werden: Es braucht verbindliche Regelungen zur Verwendung der Mittel – insbesondere, was das Schaffen unbefristeter Stellen betrifft.