In der vergangenen Woche haben die staatlichen Hamburger Hochschulen die Hamburger Erklärung zu Hochschul-Karrierewegen in der Wissenschaft veröffentlicht — der Präsident der Universität Hamburg, Hauke Heekeren, sagte dazu im Interview mit Jan-Martin Wiarda: „Wir nehmen die Stimmen der "#IchBinHanna"-Bewegung und anderer Stakeholder ernst und sehen sie als wichtigen Ansporn für einen konstruktiven Dialog und für gemeinsame Bemühungen zur Weiterentwicklung des akademischen Systems.“ So weit, so erfreulich, zeigt die Erklärung doch erneut, wie viel wir alle gemeinsam mit #IchBinHanna in Bewegung gesetzt haben. Es sei, so Heekeren weiter, „ein ambitionierter Plan, den wir vorlegen“. Wie ambitioniert der Plan wirklich ist, will ich mir für den heutigen Newsletter einmal genauer ansehen. Denn: Für Versprechen allein kann man sich bekanntermaßen wenig kaufen, und seine Miete zahlen kann man damit auch nicht — wer wüsste das besser als #IchBinHanna, für die das Bangen darum, ob der versprochene Anschlussvertrag auch wirklich (rechtzeitig) kommt, den beruflichen Werdegang maßgeblich prägt? Hält die Hamburger Erklärung also, was Heekeren hier verspricht — und was (wenn überhaupt etwas) verspricht die Erklärung eigentlich selbst?
Wann wird es endlich so, wie es immer schon war?
Die Einleitung zur Erklärung liest sich auf den ersten Blick durchaus vielversprechend. Der Wissenschaftsstandort Hamburg wolle „attraktive Karrierewege in der Wissenschaft bieten“, bestehen wolle man „im nationalen wie internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe“, auch die Verwirklichung von „Chancengleichheit, Geschlechtergerechtigkeit und Diversität“ wird in Aussicht gestellt. Bei näherer Betrachtung verwundert aber, dass in die Einleitung gleich dreimal das Wörtchen „weiterhin“ eingestreut ist, nämlich an allen drei zitierten Stellen: Das, was dort in Aussicht gestellt wird, soll alles weiterhin stattfinden. Nun könnte man denken, das sei nicht mehr als eine sprachliche Spitzfindigkeit. Tatsächlich verdichtet sich im Wörtchen „weiterhin“ aber ein wesentliches Problem der Hamburger Erklärung: Das, was an Gutem drinsteht, ist nicht neu — und das, was neu und gut sein könnte, bleibt so unterbestimmt und unverbindlich, dass die Hoffnung auf die große Reform bei der Gesamtlektüre leider vorerst ausbleibt. Obendrein haben es auch noch ein paar unliebsame Klassiker der #IchBinHanna-Problematik in die Erklärung hineingeschafft, die sicherlich nicht zu attraktiven Karrierewegen in der Wissenschaft beitragen, und genauso wenig zu Chancengleichheit, Geschlechtergerechtigkeit und Diversität — ganz im Gegenteil.
Alter Wein in neuen Schläuchen
Fraglos sind einige Aspekte der Erklärung erfreulich, darunter etwa die (vorbehaltlich der Kompatibilität mit dem künftigen WissZeitVG) in Aussicht gestellte Mindestbeschäftigungsdauer von je drei Jahren für die Promotion und die Postdoc-Phase (s. [6] und [11]). Aber: Eine solche Mindestbeschäftigungsdauer gilt bereits jetzt, denn sie steht so im Hamburger Hochschulgesetz (s. § 28). Neu ist sie also nicht. Auch nicht neu und sogar mehr als unerfreulich ist die Absichtsbekundung der Hochschulen, „sich beim Umfang der Beschäftigung von Doktorand:innen an den fächerspezifischen Beschäftigungsquoten der Deutschen Forschungsgemeinschaft [zu] orientieren“ ([5]). Dass Promovierende je nach Fach 65%-Stellen, 75%-Stellen oder 100%-Stellen haben und implizit dennoch von allen 100% und mehr Arbeit erwartet wird, ist offenkundig unfair und unterwandert obendrein den Tarifvertrag. Warum diese Problematik also weiter fortschreiben? Die VolkswagenStiftung ist hier erfreulicherweise deutlich weiter, und es wäre wünschenswert, dass sich die Hamburger Hochschulen (sowie alle wissenschaftlichen Arbeitgeber in Deutschland) daran ein Vorbild nehmen.
Kein Freikaufen von Verantwortung durch Beratungsangebote
Wiederholt wird in der Hamburger Erklärung das Instrument der Beratungsangebote bemüht. Das Narrativ, man müsse die Leute nur mal richtig beraten und könne allein damit schon zu einer Verbesserung der Situation befristet Beschäftigter beitragen, kennen wir bereits zu Genüge. Allein: Arbeitgeber, die schlechte Arbeitsbedingungen bieten, können sich nicht dadurch aus der Verantwortung für eine echte Reform herausberaten, dass sie die Beschäftigten, die unter diesen Bedingungen zu leiden haben, transparent über die bestehenden Probleme aufklären. Der Verweis auf Beratungsangebote zur Problemlösung bleibt eine der Nebelkerzen in der #IchBinHanna-Debatte, die den Blick auf echte Änderungsmöglichkeiten verschleiern.
Butter bei die Fische: Wer Betreuung und Bewertung entkoppeln will, sollte das auch so sagen
Wo es richtig spannend werden könnte, bleibt die Hamburger Erklärung hingegen enttäuschend unkonkret. Die Formulierung etwa, „[d]as Verhältnis von Betreuung und Bewertung“ solle „perspektivisch geprüft werden“ gibt eher Rätsel auf, statt zur Problemlösung beizutragen. Gemeint ist vermutlich, die Kopplung von Betreuung und Bewertung bei Promotionen, die zu einer verschärften Abhängigkeit Promovierender von einzelnen Professor_innen führt (was umso mehr gilt, da diese Professor_innen oftmals auch noch Vorgesetzte der Promovierenden sind), zu überdenken und ggf. aufzuheben. Sofern das gemeint ist, sollte es aber so auch dort stehen. Hier haben es ebenfalls andere besser hinbekommen — so findet man in NRW erfreulich deutliche Worte: „Um die Lauterkeit des Wissenschaftssystems zu sichern, sollen Promotionen künftig durch unterschiedliche Personen betreut und begutachtet werden.“
Ein Kuddelmuddel aus Personalmodellen
Auch was den Kernpunkt der aktuellen Debatte um das WissZeitVG betrifft — unbefristete Stellen nach der Promotion, auch neben der Professur —, wirft die Erklärung mehr Fragen auf als sie beantwortet. Es werden diverse Modelle genannt, durchaus in aussichtsreichen Varianten (etwa die forschungsstarke Postdoc-Stelle mit Beförderungsmöglichkeit bis E15, s. [16]), die aber seltsam nebeneinander stehen. Wie sich daraus ein sinnvolles, aufeinander abgestimmtes Gefüge verschiedener Personalkategorien ergeben soll, erschließt sich bei der Lektüre der Erklärung leider nicht. Ein aussichtsreicher Plan für eine grundlegende, durchdachte Personalreform liegt damit noch nicht vor — und das gilt nicht zuletzt, da in der Erklärung keinerlei Zielmarken definiert sind, was die Zahl der zukünftig zu schaffenden dauerhaften Perspektiven für die Postdoc-Phase in den unterschiedlichen genannten Modellen betrifft. Stattdessen übt man sich bereits in der Einleitung in Erwartungsmanagement: „Die Hochschulen weisen darauf hin, dass sowohl strukturelle als auch qualitative Veränderungen in der Ausgestaltung von Hochschulkarrieren in der Wissenschaft zusätzliche Finanzierungsbedarfe bedeuten.“ Verantwortung übernehmen sieht anders aus.
„Innovation durch Fluktuation“ ist und bleibt ein unbelegtes Dogma
In diesem Sinne besonders enttäuschend ist schließlich, dass es auch die olle Kamelle „Innovation durch Fluktuation“ in die Erklärung geschafft hat, wenn es heißt, man wolle „den Anteil von unbefristeten gegenüber befristeten Beschäftigungsmöglichkeiten […] soweit […] erhöhen, wie dies im Hinblick auf die Innovationsfähigkeit der Hochschulen in Forschung und Lehre möglich ist“ (02). Zur Erinnerung: Bereits im vergangenen Jahr haben die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags in einem Gutachten festgehalten, dass sich für die Behauptung „Innovation durch Fluktuation“ keine empirischen Belege finden. Wissenschaftspolitik sollte sich selbst besser kein Fundament geben, das wissenschaftsbasiertem Fact-Checking nicht standhält — das gilt auch für die Hamburger Erklärung.
Warum die Umsetzung der Hamburger Erklärung deutlich ambitionierter sein muss als die Erklärung selbst
Hauke Heekeren benennt nun aber durchaus ein bereits bestehendes Problem, das zukünftig noch drängender zu werden verspricht, wenn er im Wiarda-Interview konstatiert: „[Wir] spüren die Konkurrenz außerhalb der Wissenschaft, die dazu führt, dass einige der klügsten Köpfe den Hochschulen den Rücken kehren, weil sie sagen: Alle Flexibilität und Spielräume in der Forschung können nicht die Stabilität und die Bezahlung in der Wirtschaft aufwiegen.“ Deshalb können es sich die Hamburger Hochschulen genauso wenig wie andere Arbeitgeber in der deutschen Wissenschaft erlauben, sich auf ihren „Weiterhin“s auszuruhen. Was es stattdessen braucht, ist eine echte Reform, die in Teilen sicherlich durch Veränderungen des WissZeitVG geprägt werden wird — und die auch sonst schon längst unaufhaltsam ins Rollen gekommen ist, wie die oben genannten positiven Beispiele aktueller Initiativen eindrücklich zeigen. Nichtsdestotrotz verfügen auch die Hamburger Hochschulen (wie alle wissenschaftlichen Arbeitgeber) über eine beachtliche Gestaltungsmacht, die es zu nutzen gilt, um eine tragfähige Personalreform auf die Beine zu stellen. Hoffen wir also, dass die Hamburger Hochschulen diese Aufgabe verantwortungsvoll angehen werden — im Interesse ihrer wissenschaftlichen Beschäftigten, aber auch in ihrem eigenen.