Warten aufs WissZeitVG, während viele der besten Köpfe sich abwenden
Am vergangenen Freitag war ich in Berlin bei der Veranstaltung „Gesucht: Leader mit Leidenschaft“ der Wirtschaftszeitschrift CAPITAL — Anlass war meine Auszeichnung zu einer der #Top40unter40. Laut CAPITAL werden damit „die größten Talente aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft“ ausgezeichnet. Eine große Freude, dass mein öffentliches Engagement als Wissenschaftlerin und auch die Arbeit für die Initiative #IchBinHanna, die ich gemeinsam mit Kristin Eichhorn, Sebastian Kubon und der gesamten #IchBinHanna-Community mache, eine solche Wertschätzung erhalten!
Bei der Veranstaltung hatte ich Gelegenheit, auch andere Ausgezeichnete kennenzulernen, wobei viele von ihnen — anders als ich — nicht (mehr) in der Wissenschaft tätig sind. Ein Thema zog sich dabei durch den gesamten Veranstaltungstag: Immer wieder hörte ich von in Wirtschaft und Politik Tätigen, dass sie eigentlich gern Wissenschaft gemacht hätten, sich aber angesichts der schlechten Arbeitsbedingungen im deutschen Wissenschaftssystem dagegen entschieden haben. Diejenigen, mit denen ich sprach, sind teils promoviert, hatten also einen persönlichen Einblick in die prekären Verhältnisse, unter denen in Deutschland Wissenschaft getrieben wird — teils sind sie bereits vor einer möglichen Promotion ausgestiegen, weil eine Beschäftigung als Wissenschaftler_in mit den Bedingungen und Perspektiven anderenorts nicht mithalten konnte. Wenn es das Bundesministerium für Bildung und Forschung ernst damit meint, „die besten Köpfe in den Wissenschaftsbetrieb [bekommen] und [halten]“ zu wollen, sollte diese mangelnde Konkurrenzfähigkeit des Wissenschaftssystems nicht nur bedenklich stimmen, sondern vor allen Dingen Anlass genug sein, endlich das neue Wissenschaftszeitvertragsgesetz auf den Weg zu bringen.
Jeder Tag ohne adäquate WissZeitVG-Novelle provoziert weitere Entscheidungen gegen Wissenschaft als Beruf in Deutschland
Seit wir #IchBinHanna angestoßen haben, hat sich eine Vielzahl von Wissenschaftler_innen zu den negativen Auswirkungen des WissZeitVG auf sie selbst und ihre wissenschaftliche Arbeit geäußert. Es gab immer auch Stimmen derer, die dem Wissenschaftssystem aus diesen Gründen den Rücken gekehrt haben. Viele Entscheidungen gegen die deutsche Wissenschaft bleiben aber unsichtbar. Wer geht, lässt das System zurück, unter dem sie_er teils über Jahre gelitten hat — oder steigt erst gar nicht in dieses System ein. Der Fokus liegt dann sicherlich oft in erster Linie auf den neuen Tätigkeitsfeldern und den darin erzielten Erfolgen. Den eigenen Ausstieg aus der (oder Nicht-Einstieg in die) deutsche Wissenschaft zu thematisieren liegt hingegen sicherlich für viele weniger nahe, weshalb die Gespräche, die ich geführt habe, für mich umso eindrücklicher waren. Sie zeigen, dass die deutsche Wissenschaft schon jetzt einige exzellente, engagierte Leute verloren hat — und mit jedem Tag ohne eine Verbesserung der Bedingungen verschärft sich dieser Verlust weiter.
Im Wissenschaftssystem selbst erzählt man sich derweil gern die Mär, dass diejenigen, die das System verlassen haben, Versager_innen seien. Auch dass es außerhalb der Wissenschaft ebenfalls erfüllende Tätigkeiten gibt, wird teils sogar explizit bestritten, worüber man sich wirklich nur wundern kann — denn das, was die Tätigkeiten in Teilen erfüllend macht, steht in einem eklatanten Missverhältnis zu dem Preis, den das Gros der Wissenschaftler_innen zahlen muss, um sie auszuüben (sofern die prekären Bedingungen überhaupt individuell abgefedert werden können). Wer einmal in der deutschen Wissenschaft gearbeitet und sich von einem befristeten Kettenvertrag zum nächsten gehangelt hat, wird sicherlich gut nachvollziehen können, dass meine Gesprächspartner_innen beim CAPITAL-Event lieber anderswo ihre herausragenden Fähigkeiten einsetzen.
Ein unattraktiver Wissenschaftsstandort mit schlechten Arbeitsbedingungen beschädigt Deutschland auf vielen Ebenen
In Zeiten des immer virulenter werdenden Fachkräftemangels, der auch in der Wissenschaft zunehmend spürbar wird, wäre es deshalb fahrlässig, nun nicht schnellstmöglich zu handeln und die Novelle des WissZeitVG endlich mit den erforderlichen Anpassungen auf den Weg zu bringen. Denn: Wir leben in Zeiten vielfältiger Krisen. Vieles von dem, was uns lange als selbstverständlich galt, wackelt. Und genau aus diesem Grund ist es heute wichtiger denn je, ein Wissenschafts- und Bildungssystem zu haben, das gut auf diese Herausforderungen reagieren kann. Und dafür braucht es vor allem Menschen, die bereit sind, (weiterhin) in diesem System zu arbeiten. Das gilt nicht zuletzt, da der Fachkräftemangel in der Wissenschaft einen bedenklichen Dominoeffekt nach sich zieht, denn er trifft mittelbar auch alle anderen akademischen Fachkräfte. Es ist im Interesse unseres Landes, dass diese Fachkräfte bestmöglich ausgebildet werden. Dafür brauchen wir qualifizierte, engagierte und motivierte Mitarbeiter_innen an den Hochschulen — und diese Mitarbeiter_innen brauchen faire Arbeitsbedingungen, um die Ausbildung akademischer Fachkräfte auch gut machen zu können.
Aber der Dominoeffekt macht hier nicht Halt, er geht noch weiter. Denn: Bildung beginnt nicht erst an der Hochschule. Schon in der Schule wird der Grundstein dafür gelegt. Wir brauchen also auch gut ausgebildete Lehrer_innen. Und wo werden die ausgebildet? Genau: An den Hochschulen! Dem schon jetzt grassierenden Mangel an Lehrkräften werden wir sicherlich nicht mit schlechten Studienbedingungen für die Lehrer_innen von morgen beikommen — die aber sind ein Automatismus, solange die Arbeitsbedingungen derer, die an den Hochschulen lehren und betreuen, derart defizitär bleiben. Wir können es uns nicht leisten, Bildung weiterhin derart herunterzuwirtschaften, wie es aktuell der Fall ist.
#NewWissZeitVGNow: Wir brauchen ein sachgerechtes neues Gesetz, und zwar schnell!
Statt also mit den Arbeitsbedingungen — und den sich immer weiter aufaddierenden Verzögerungen bei der Novellierung des WissZeitVG — diejenigen zu verschrecken, die Wissenschaft als Beruf gegenwärtig (noch) ausüben oder das in Betracht ziehen, muss die Bundesregierung jetzt schnellstmöglich handeln. Die Novelle des WissZeitVG kann nicht länger warten. Die Absichtsbekundung der Forschungsministerin, eine Große Anfrage der Bundestagsopposition von CDU/CSU zum weiteren Vorgehen bezüglich des WissZeitVG „spätestens bis Ende Juni 2024“ zu beantworten, hat in den Sozialen Netzwerken zu Recht für Empörung gesorgt. Je länger sich die Sache zieht, desto mehr sendet auch die Verzögerung das Signal: Wissenschaft ist uns nicht wichtig genug, um das hinzubekommen. Dass sie es sein sollte, dürfte dabei eigentlich unstrittig sein.
Es liegt nun in der Verantwortung der Bundesregierung, den Wissenschaftsstandort Deutschland mit einem sachgemäßen neuen WissZeitVG schleunigst so aufzustellen, dass die deutsche Wissenschaft wieder mithalten kann, statt als unattraktiver Arbeitsort abgehängt zu werden, über den die sogenannten besten Köpfe nur mit dem Kopf schütteln können. Sollte die Regierung eine nachhaltige Beschädigung des Wissenschaftssystems zu verantworten haben — die oben beschriebenen Dominoeffekte inklusive —, würden das sicherlich auch die Wähler_innen nicht vergessen. Also los, liebe Ampel: Macht was draus, und macht es schnell!