Wir müssen über Geld für Arbeit in der Wissenschaft reden
... und was Befristung damit zu tun hat
Wird auf Twitter über Arbeit in der Wissenschaft diskutiert, dann gibt es ein Thema, das regelmäßig besonders polarisiert: das Thema Geld. Wie gut verdienen Wissenschaftler_innen denn nun — und warum ist es wichtig, auch Befristung und deren Effekte im Blick zu behalten, wenn wir über Geld für Arbeit in der Wissenschaft sprechen?
Das Best-Case-Szenario für #IchBinHanna: Die volle E13-Stelle
Wissenschaftliche Mitarbeiter_innen mit Diplom- oder Masterabschluss erhalten regelmäßig E13-Stellen, für die ein entsprechender Abschluss auch vorausgesetzt ist. Einige (bei Weitem nicht alle, dazu gleich mehr) haben tatsächlich eine Vollzeitstelle (wobei die mitunter auch aus mehreren Teilzeitstellen zusammengesetzt ist). Was also verdienen Wissenschaftler_innen mit einer vollen E13-Stelle?
Gehen wir von der niedrigsten Stufe 1 aus (üblicherweise das Einstiegsgehalt für das erste Jahr), dann landen wir aktuell bei einem Bruttojahresgehalt von etwa 52.206 €. Zum Vergleich können wir uns in der Grafik unten anschauen, was Diplom- und Masterabsolvent_innen sonst so verdienen (oder genauer: im Jahr 2020 verdient haben).
(Die Grafik von Statista kann hier abgerufen werden.)
Wir sehen also: Die Differenz zum Durchschnittsgehalt Vollzeitarbeitender mit Masterabschluss liegt bei gut 9.000 €, im Falle des Uni-Diploms sogar bei über 25.000 € pro Jahr.
Nun mag der Einwand folgen, dass Wissenschaftler_innen ja mit der Zeit weitere Stufen der E13-Bezahlung erklimmen und sich damit hinsichtlich ihres Gehalts weiter verbessern können. Das ist zwar richtig, aber: Die höchste Stufe 5, mit der das Jahresgehalt immerhin etwa 75.254 € beträgt, wird erst nach 15 Jahren Tätigkeit im Öffentlichen Dienst erreicht – vorausgesetzt, man wird zwischendrin inmitten der in der Wissenschaft üblichen Arbeitsortwechsel nicht zurück- oder neu eingestuft. Auch die Promotion ändert nichts daran, viele Postdocs arbeiten weiter auf E13-Stellen. Und 15 Jahre in der Wissenschaft schafft kaum jemand, weil für die meisten vorher die 12-jährige Höchstbefristungsdauer des WissZeitVG in Kombination mit dem Mangel an unbefristeten Stellen der Beschäftigung in der Wissenschaft ein jähes Ende bereitet.
Finanzielle Abstriche, Teil 1: Teilzeit und Stipendien
Das Best-Case-Szenario, das also finanziell nicht einmal ganz so großartig ist, wie viele annehmen mögen, betrifft allerdings bei Weitem nicht alle Wissenschaftler_innen. Da wäre erstens die unter Wissenschaftler_innen weit verbreitete Teilzeitbeschäftigung (zu der Kristin Eichhorn bereits einen lesenswerten Text verfasst hat), die zu bedeutenden finanziellen Abstrichen führt: Ganze 37% der unter 45-jährigen Wissenschaftler_innen ohne Professur sind in Teilzeit beschäftigt (BuWiN 2021, S. 108), wobei dies Frauen sehr viel häufiger betrifft als Männer – und zwar über alle Fächergruppen hinweg (vgl. BuWiN 2021, S. 120). Bei 37% dieser Wissenschaftler_innen fällt das monatliche Einkommen also deutlich geringer aus als das in der Rechnung oben. Wer etwa eine halbe E13-Stelle hat, verfügt nur noch über ein Jahresbruttogehalt von etwa 26.103 € (Stufe 1).
Dass die betreffenden Personen für Teilzeit bezahlt werden, heißt aber mitnichten, dass sie auch nur Teilzeit arbeiten: Promovierende machen im Schnitt 13 Überstunden pro Woche, Postdocs zehn (vgl. BuWiN 2021, S. 123) – und diese Mehrarbeit bleibt schlicht unbezahlt. Dass für die Promotion in vielen Fächern Teilzeitstellen noch immer die Regel sind, liegt übrigens auch an diesem Hinweispapier der DFG, das für viele Fächer einen Stellenumfang von 65% oder 75% vorsieht (wohlgemerkt, ohne dass davon ausgegangen wird, dass die Stelleninhaber_innen weniger arbeiten als ihre Promovendengeschwister in Fächern mit 100%-Stellen), über das ich an anderer Stelle schon geschrieben habe.
Zweitens sind gar nicht alle Wissenschaftler_innen überhaupt angestellt. So finanzieren sich etwa 17% der Promovierenden nicht mit einer Stelle, sondern mit einem Stipendium (vgl. BuWiN 2021, S. 117), das nicht sozialversicherungspflichtig ist. Kosten für die Krankenkasse zahlen sie selbst, und wenn sie im Anschluss nicht sofort eine Finanzierung finden, fallen sie direkt in Hartz IV.
Wer über viele Jahre in Teilzeit arbeitet und/oder sich mit Stipendien über Wasser hält, zahlt den enormen Preis dafür nicht selten für den Rest ihres_seines Lebens. Denn es lassen sich mit den zur Verfügung stehenden Mitteln oftmals so gerade die laufenden Kosten begleichen, wenn überhaupt: Schließlich ist das Leben und Wohnen in Hochschulstädten meist besonders teuer. Was heute finanziell auf Kante genäht ist, wirkt sich deshalb auch gravierend auf die eigene Zukunft aus: Mit Teilzeitstellen und Stipendien Rücklagen bilden ist kaum machbar. Das gilt im Besonderen, wenn zusätzlich noch Studienkredite oder BAföG abgezahlt werden. Und auch für die eigenen Rentenansprüche können sich desaströse Folgen ergeben, die weit über die aktuelle prekäre Situation hinausgehen. Hier zeigt sich einmal mehr: Wissenschaft als Beruf ist etwas, das man sich leisten können muss.
Finanzielle Abstriche, Teil 2: Pendeln
Wissenschaftler_innen sind regelmäßig gezwungen, den Arbeitsort zu wechseln, und das bis zu einem Alter von Ende 30, Anfang 40 oder länger (ich schrieb bereits hier im Newsletter darüber, wie sich diese erzwungene Mobilität anfühlt und warum sie auch für die Wissenschaft einigen Schaden anrichtet). Wer nicht ständig den Wohnort wechseln kann oder will, pendelt — und das geht auf Dauer ordentlich ins Geld.
In einem jüngst geposteten Tweet zum Thema Pendeln habe ich die Kosten einer Probe BahnCard 100 genannt, die sich für die 2. Klasse zur Zeit auf 1.295 € für drei Monate belaufen, für Teilzeitbeschäftigte mit 50% E13 etwa ein Monatsgehalt. Wer außerdem eine zusätzliche Pendelwohnung am Arbeitsort unterhält, zahlt sogar noch mehr. Auch hier gilt: Selbst, wer hier mit dem aktuellen Budget mehr oder weniger gut über die Runden kommt, kann jeden Cent, den die Pendelei frisst, trotzdem nicht für später zur Seite legen — auch dieser Aspekt der derzeitigen wissenschaftlichen Beschäftigung hat also einen hohen Preis für die eigene Zukunft. Wer nicht über die Runden kommt, muss sich ggf. sogar verschulden. Und all das ohne die Perspektive, das sich das, was hier über Jahre (nicht nur finanziell) investiert wird, in Form einer unbefristeten Beschäftigung auszahlen wird.
Finanzielle Abstriche, Teil 3: Vertragslücken
Die Kettenbefristungen führen nicht nur zu zahlreichen Arbeitsortwechseln – manchmal reißt die Kette auch und es entsteht eine Lücke, die Forschende mit ALG 1 oder gar Hartz IV füllen müssen. Personen ohne Kinder erhalten ALG 1 in Höhe von 60% des vorherigen Einkommens, mit Kindern sind es 67% — wer vorher schon Mühe hatte, mit einem Teilzeit-Gehalt über die Runden zu kommen, für die_den wird es jetzt richtig eng.
(Kredite bekommen befristet angestellte Wissenschaftler_innen übrigens auch nur in äußerst eingeschränktem Maße — und ich werde nie vergessen, wie mir meine Bank, als ich ALG 1 erhielt, den in Zeiten von Teilzeitstellen und Stipendium rettenden Dispo-Kredit entzog.)
Für alle ohne Lebenszeitprofessur werden die finanziellen Abstriche nicht geheilt
Jetzt ließe sich sagen: Dass Wissenschaftler_innen über viele Jahre ihres Berufslebens hinweg kaum Rücklagen bilden können, wenig in die Rentenkasse einzahlen, Unsummen für die Pendelei ausgeben, zwischendurch auch mal phasenweise erwerbsarbeitslos sind und sich ggf. sogar verschulden müssen, um weiter in ihrem erlernten Beruf arbeiten zu können, lässt sich am Ende vielleicht noch halbwegs verschmerzen, wenn die Lebenszeitprofessur wartet: mit Verbeamtung und Pensionsansprüchen, die all die finanziellen Abstriche der vergangenen Jahre wiedergutmachen.
Allein: Für die allermeisten, die diesen prekären Weg gehen, wird es keine Professur geben. Auf sie wartet nicht einmal eine unbefristete Stelle in der Wissenschaft. Sie werden früher oder später gezwungen, sich beruflich neu zu orientieren, in einem Alter, in dem andere Branchen sicherlich vielfach nicht gerade Hurra schreien ob dieser Bewerber_innen. Es ist für viele ein beruflicher Neuanfang ohne (nennenswertes) Startkapital oder finanzielle Puffer. (Und all das gilt übrigens auch für Juniorprofessorinnen wie mich, die wir zwar mit unserer W1-Besoldung finanziell für den Moment vergleichsweise gut dastehen — aber auch wir können uns dafür buchstäblich sehr viel weniger kaufen als Gleichverdienende, die dank unbefristeter Arbeitsverhältnisse nicht beständig das berufliche Nichts antizipieren müssen.)
Deshalb sollten wir in Diskussionen um Geld für Arbeit in der Wissenschaft das, was Personen überhaupt an Entlohung erhalten, stets ins Verhältnis zur Befristung setzen.