Bullshit Priming
Was uns Freakonomics, Sterberaten Übergewichtiger und finanzielle Bildung über schlechte Wissenschaft lehren können.
Die im Nachhinein wichtigste Vorlesung meiner Unizeit klang auf dem Papier mühsam und langweilig: Statistik und Methoden der Sozialwissenschaften. Der Professor war ein kleiner Tyrann, der uns Vorträge darüber hielt, dass wir seine Zeit nicht mit E-Mails an ihn verschwenden sollten und dass es keine Entschuldigung für Verspätung gibt.
Aber ich muss immer wieder erstaunt daran denken, wenn ich über offensichtlich schlechte (Pseudo-)Wissenschaft stolpere – oder über ordentliche Wissenschaft, die missbräuchlich genutzt wird. Covid hat deutlich gemacht, dass die größte Lücke in unserem Schulsystem nicht etwa finanzielle Bildung ist (wie es gerade von der FDP lanciert wird) sondern wissenschaftliche Methode.
Schließlich geht es darum eine Sensibilität zu entwickeln, um Zusammenhänge von Scheinzusammenhänge zu unterscheiden, Expert:innen von Scharlatan:innen, Information von Desinformation, Fakten von Fiktion. Ich dachte, bullshit priming sei ein guter Begriff dafür.
Wenn uns das in der Breite der Bevölkerung nicht gelingt, ist unsere Demokratie in großer Gefahr. Nur wenn wir uns auf eine gemeinsame, empirische Realität einigen können, können wir auch gemeinsame, demokratische Entscheidungen treffen.
Dass bullshit priming wunderbar unterhaltsam sein kann, zeigen zwei Podcasts mit dem Journalisten Michael Hobbes und dem (gecancelten) Anwalt Peter Shamshiri beziehungsweise der Autorin Aubrey Gordon: In If Books Could Kill geht es um sehr erfolg- und einflussreiche Bücher, die beim genaueren Hinsehen oft faktenfrei und teils gefährlich sind. In Maintenance Phase geht es um blödsinnige und oft diskriminierende Diäten. Drei Episoden kann ich empfehlen:
Das Buch Freakonomics: A Rogue Economist Explores the Hidden Side of Everything Steven D. Levitt und Stephen J. Dubner wurde alleine bis 2014 weltweit sieben Millionen Mal verkauft. Inzwischen ist aus Freakonomics eine Medienmarke geworden: Levitt und Dubner haben SuperFreakonomics, Think Like a Freak und When to Rob a Bank geschrieben. Zudem gibt es einen Podcast und einen Dokumentarfilm. Das Problem: Freakonomics ist methodisch in weiten Teilen bullshit.
Dieser Tage wirbt die FDP mit mehr finanzieller Bildung in Schulen. Zwei Millionen Euro will sie dafür locker machen (also etwa 120 Euro pro Schule). Grundsätzlich ist nicht viel dagegen einzuwenden. Es ist nur die Frage, was genau gelehrt werden soll: Legt Geld zurück und lebt nicht über eure Verhältnisse! Klar. Aber darüber hinaus? Ich musste daran denken, als ich die Episode über einen der erfolgreichsten Finanzratgeber überhaupt gehört habe: Rich Dad Poor Dad. Das Buch ist wirklich absurd. Hobbes und Shamshiri fassen es so zusammen: “In 1997, Robert Kiyosaki revealed the secret to lifelong success: Deliver grifty seminars and hire child slaves.”
Dass übergewichtige Menschen statistisch früher sterben als normalgewichtige, scheint nicht sonderlich kontrovers. Tatsächlich sagt eine sehr solide Studie der Epidemiologin Katherine Flegal, dass es komplizierter ist. Wegen dieser Studie wurde eine massive, oft persönliche Kampagne gegen sie gefahren, die 2016 in einer methodisch sehr zweifelhaften Studie endete. Die Geschichte dahinter erzählt von Sexismus in der Wissenschaft und wie angebliche wissenschaftliche Realität als Feigenblatt für fat shaming missbraucht wird. Flegal hat ihre Version hier aufgeschrieben.
In Zeiten globaler Pandemien, künstlicher Intelligenz, Klimakrise und viraler Verschwörungstheorien wird bullshit priming einer der wichtigsten Faktoren, um Gesellschaften zusammenzuhalten.