Zur Ethik des Umgangs mit Covid nach der Pandemie bzw. im Übergang zur Endemie
Denkschrift eines Philosophen
Der Beitrag von Ethiker:innen zur Pandemie ist bisher überschaubar geblieben. In wissenschaftlichen Veröffentlichungen und fachpolitischen Diskussionen ist das Thema nur wenig präsent. Wenn es doch mal aufgegriffen wird, dann wirken die Beiträge häufig wissenschaftlich nur wenig informiert; und nicht selten wird Covid verharmlost. Zudem scheint es völlig an Gedanken dazu zu fehlen, wie wir in der beginnenden Endemie (oder zumindest den Übergang dorthin) mit Covid weiter verfahren sollen. Kurz gesagt, die Philosophie (wie auch die Theologie) hat mal wieder eine Chance verstreichen lassen, ihre gesellschaftliche Relevanz unter Beweis zu stellen.
Dabei ist der Beitrag der Ethik gerade in der Pandemie gefordert. Denn die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Pandemie sind das eine, die normativen Verpflichtungen, die sich daraus ergeben, das andere. Der Slogan: „Folge der Wissenschaft“, ist daher ein wenig unglücklich. Denn wir sind nicht verpflichtet, die normativen Auffassungen der Wissenschaftler:innen zu teilen. Es gehört nun mal nicht zur Fachkompetenz von Virolog:innen, Epidemiolog:innen, u.a., den ethisch richtigen Umgang mit Covid normativ zu begründen. Zudem sind die Expert:innen keineswegs neutrale Beobachter der Pandemie, sondern genauso wie wir alle von der Krankheit oder den Schutzmaßnahmen betroffen. Die oftmals anzutreffende Uneinigkeit unter den Expert:innen (bis hin zu polemischen Auseinandersetzungen) ist wohl auch auf deren unterschiedlichen persönlichen Interessen und normativen Präferenzen zurückzuführen. Ein weiteres Problem besteht darin, dass Expert:innen bisweilen im Dienste anderer Akteure aufzutreten scheinen.
Unter Expert:innen und wohl auch unter Ethiker:innen scheint die Stimmung verbreitet zu sein, dass nach der erfolgten Impfkampagne und etlichen Infektionswellen die entstandene Immunität so weit gediegen sei, dass sich die meisten Menschen keine Sorgen mehr wegen Infektionen machen müssten. Daher bräuchten sie – also die Mehrheit der Bevölkerung – auch keine Maßnahmen zum Schutz ihrer selbst und anderer zu beherzigen. In dieser kleinen Denkschrift will ich hingegen darlegen, warum wir auch im Auslaufen der Pandemie (oder der beginnenden Endemie) nicht zu einem nachlässigen Umgang mit Covid schreiten dürfen. Dabei fasse ich zunächst summarisch die Schäden und Bedrohungen durch Covid wie auch die gegen Covid möglichen Schutzmaßnahmen zusammen (wenn auch ohne die mit dem Charakter einer Denkschrift unvereinbaren Belege). Anschließend erörtere ich verschiedene ethische Aspekte von Covid und der Schutzmaßnahmen. Ich komme zu dem Schluss, dass wegen der noch bestehenden Gefahren alle Menschen, insbesondere aber die besonders vulnerablen Personen, ein Recht zum Schutz vor Covid haben, was die Pflicht des Staates zu Schutzmaßnahmen begründet. Da der Infektionsschutz jedoch keinen kategorischen Vorrang vor anderen Werten hat, erläutere ich, wie die Abwägung zwischen Infektionsschutz und personaler Autonomie geschehen könnte.
Ich vertrete also eine gänzlich andere Position als der Nationale Ethikrat in seiner Stellungnahme zur Pandemie. Dieser konnte sich lediglich zu der scheinbar trivialen, tatsächlich aber gefährlichen Aussage durchringen, dass wir uns als Gesellschaft darauf einigen sollten, welche Risiken wir hinnehmen wollen. Gefährlich ist das deswegen, weil eine Einigung auch bedeuten könnte, dass die Mehrheit einer Minderheit von besonders vulnerablen Personen Risiken aufnötigt, die sich diese auf keinen Fall erlauben kann. Selbst wenn dies nicht so intendiert sein mag, erschreckt es, dass gesundheitlich vulnerable Personen in der Stellungnahme des Ethikrats schlicht nicht vorkommen. Auch das Recht, selber über die eingegangenen gesundheitlichen Risiken zu bestimmen, wird vom Ethikrat nicht einmal erwähnt. Aus diesen und anderen Gründen muss man konstatieren, dass der Ethikrat leider keinen brauchbaren Beitrag zum Umgang mit Covid geleistet hat.
1. Schäden und Bedrohungen durch Covid
Auch nach der Impfkampagne und der Durchseuchung eines großen Teils der Bevölkerung richten Coronainfektionen erhebliche gesundheitliche Schäden und indirekt auch gesellschaftliche Schäden an. Zwar ist die Schutzwirkung von Impfungen oder sogar Infektionen gegen Tod und schwere Verläufe in der akuten Phase stark, doch kommt es in Deutschland immer noch zu etwa 10 000 Todesfällen pro Quartal im Zusammenhang mit einer Coronainfektion, wovon zum Teil auch Geimpfte betroffen sind. Weniger ausgeprägt, wenn auch immer noch erheblich, ist der Schutz gegen symptomatische Verläufe und Long Covid. Wegen der Vielzahl der Infektionen kommt es daher selbst bei Geimpften zu einer hohen Zahl von symptomatischen Verläufen und Long Covid. Long Covid kann so ausgeprägt sein, dass es die Form von ME/CFS annimmt und lebensbedrohlich werden. Hinzu kommen andere Folgeschäden, etwa Schäden an Blutgefäßen und am Herzen, aber auch an anderen Organen wie dem Gehirn. Insbesondere Erkrankungen des Herzens können zum Tod auch bei jungen Menschen führen.
Die Covid-Erkrankungen ziehen zudem erhebliche indirekte Schäden nach sich. Personalausfälle im Gesundheitswesen sind der wesentliche Faktor für die Überlastung der Notfallversorgung insbesondere im Oktober und Dezember 2022, welche wiederum die Hauptursache für die hohe Übersterblichkeit in diesen Zeiträumen sein dürfte. Aber auch in den anderen Bereichen des Gesundheitssystems sorgen Covid-bedingte Personalausfälle und die gestiegene Zahl der Patient:innen (auch aufgrund von Langzeitschäden) für eine schlechtere Versorgung aller Patient:innen (etwa in der Kardiologie oder bei der Versorgung von Long-Covid-Patient:innen), die auch die Verfügbarkeit von Medikamenten betrifft. Die damit einhergehenden unzumutbaren Arbeitsbedingungen führen zu einer weiteren Abwanderung aus medizinischen Berufen, was die Versorgung nochmals verschlechtert.
Doch auch außerhalb des Gesundheitsbereichs sind die indirekten Schäden groß. Erkrankungen, auch langfristige, von Schüler:innen und Lehrer:innen sorgen für erhebliche Unterrichtsausfälle und Fehlzeiten, sodass sich die Bildungsqualität verschlechtert und die Betreuung oft nicht mehr gewährleistet ist. Busse und Bahnen fallen aus, weil Fahrer:innen krank werden. In allen Wirtschaftsbereichen verschlechtert sich die Personaldecke, weil auch wegen Long Covid immer mehr Beschäftigte ihren Beruf nicht mehr ausüben können.
Zu den bereits genannten Schäden kommen solche hinzu, deren Wahrscheinlichkeit oder Ausmaß noch schwer einzuschätzen sind, die aber gravierend sein könnten und daher ernst genommen werden müssen. So scheint zum Beispiel das Risiko von Fehlgeburten bei Coronainfektionen während der Schwangerschaft stark erhöht zu sein. Oder mehrere Monate lang nach einer Infektion ist das Immunsystem offenbar weniger abwehrbereit gegen andere Erreger. Oder es könnte vielleicht sogar wegen Alterung des Immunsystems zu einer höheren Anfälligkeit für Infektionen oder Krebs kommen. Hinzu kommt die generelle Unsicherheit in Bezug auf Langzeitfolgen, besonders in Hinblick auf kognitive Leistungen. Auch im wirtschaftlichen und politischen Bereich bestehen erhebliche Langzeitrisiken: Wie würde die Wirtschaft aussehen, falls immer weniger Menschen arbeitsfähig sein sollten? Wie wäre es um die Wehrfähigkeit bestellt?
Eine große Ungewissheit besteht auch im weiteren Verlauf der Pandemie bzw. den Charakter der Endemie. Es zeichnet sich bereits ab, dass ohne zusätzliche Schutzmaßnahmen ein dauerhaft hohes Inzidenzniveau mit mehreren, einander überlagernden epidemischen Wellen pro Jahr bestehen wird, bei dem man im Durchschnitt etwa zwei Mal im Jahr einen symptomatischen Verlauf mit der Gefahr von Folgeschäden haben wird. Szenarien, nach denen sich SARS-CoV-2 zu einem erkältungsartigen Virus entwickeln wird, erscheinen ungewiss – zumindest ist nicht anzunehmen, dass dieser Prozess in Kürze abgeschlossen sein wird. Hinzu kommt die Möglichkeit, dass sich neue Serotypen oder Varianten mit einer größeren Krankheitslast bilden.
Die erwähnten individuellen Risiken sind zwar ungleich verteilt, doch ist jeder Mensch als vulnerabel anzusehen, da für jeden Menschen im Fall einer Infektion ein beträchtliches Risiko von Folgeschäden besteht. Die Abhängigkeit von Alter und Geschlecht ist diesbezüglich gering, die Abhängigkeit vom Immunstatus moderat. Es verhält sich bei den Folgeschäden also anders als beim Akutverlauf, wo die Abhängigkeit von Alter und Immunstatus jeweils sehr groß ist. Zu beachten ist, dass insbesondere für immunsupprimierte Personen auch der Akutverlauf sehr gefährlich ist, selbst wenn sie geimpft sind. Doch auch bei Long Covid scheinen die Risiken ungleich verteilt zu sein, obgleich die Risikofaktoren im Alltag nicht bekannt sind; und selbst nach einer Erstinfektion ohne Long Covid ist diese Erkrankung bei der zweiten Infektion immer noch möglich.
2. Schutzmaßnahmen
Es gibt vielfältige Maßnahmen zur Prävention einer Infektion, aber nur wenige Behandlungsmöglichkeiten im Fall einer Erkrankung. SARS-CoV-2 wird vorwiegend durch Aerosole übertragen – Tröpfchen- und Schmierinfektionen spielen nur eine sehr untergeordnete Rolle. Die wirksamste individuelle Schutzmaßnahme ist das Vermeiden von Kontakten. Das bedeutet im Fall einer Infektion Isolation und Quarantäne. Infektionen können durch PCR- und Antigentests erkannt werden. Im Fall von Kontakten sind dichtsitzende Masken von hoher Qualität ein sehr guter Schutz, sowohl für sich als für andere. Masken mit Ventil erleichtern zwar das Atmen, gewährleisten für andere jedoch nur einen geringeren Schutz und wegen nicht ganz abschließenden Ventilen auch keinen optimalen Selbstschutz. Impfungen bieten – bei immungesunden Personen – einen sehr guten Schutz vor Todesfällen und Hospitalisierungen und einen moderaten Schutz vor Infektionen mit symptomatischen Verläufen und Long Covid. Allerdings lässt die Schutzwirkung von Impfungen im Lauf der Zeit nach, weswegen regelmäßige Auffrischimpfungen mit geeigneten Impfstoffen nötig sind. Idealerweise sollten Impfstoffe auf neue Varianten angepasst werden. In Zukunft könnten Schleimhaut-Impfstoffe noch besseren Schutz, vielleicht sogar sterile Immunität, bieten. Eine nachgewiesene Wirkung haben auch Cetylpyridiniumchlorid-Lösungen zum Gurgeln (die bei zu häufiger Anwendung allerdings Mundhöhlenkrebs begünstigen können), zudem kommen andere Medizinprodukte in Betracht. Zur Behandlung akuter Verläufe ist vor Allem Paxlovid wirksam, was auch einen gewissen Schutz vor Long Covid zu bieten scheint.
Auf der Ebene der öffentlichen Gesundheitsvorsorge (Public Health) ist einerseits eine Verpflichtung der oben genannten individuellen Schutzmaßnahmen möglich – insbesondere Isolation und Quarantäne, Kontaktreduzierungen (durch Verbot von Veranstaltungen oder Obergrenzen bei Teilnehmern, Schließungen von Gastronomie, sogenannte „Schulschließungen“, usw.), Masken- und Testpflicht, evtl. auch eine Impfpflicht. Andererseits ist eine Verbesserung der Luftqualität in öffentlichen Räumen durch HEPA-Filter, Luftaustauschsysteme etc. eine sehr wirksame Maßnahme. Dies mag zwar recht teuer sein, doch hätte dies nicht die teils gravierenden Nebenwirkungen etwa von „Schulschließungen“ oder Ausgangssperren. Zudem kann der Staat die Entwicklung neuer Impfstoffe oder Medikamente fördern.
Keine dieser Maßnahmen ist für sich hinreichend, daher kommt es auf eine Kombination mehrerer Maßnahmen an. Zudem ist es schwer und in vielen Fällen unmöglich, sich eigenverantwortlich selbst zu schützen, wenn andere es nicht tun. Wenn man seine Kontakte nicht sehr deutlich reduziert (bzw. äquivalente Schutzmaßnahmen ergreift), kriegt man einer groben Modellierung zufolge ein bis zwei Infektionen im Jahr. Insbesondere Familien mit Kinder oder pflegebedürftige Personen haben durch den Wegfall an Schutzmaßnahmen kaum die Möglichkeit, sich vor Infektionen abzuschirmen.
Bei der Beurteilung der Infektionsschutzmaßnahmen – die im Folgenden vorgenommen wird – ist natürlich nicht nur deren Nutzen in Bezug auf die Bekämpfung von Infektionen, sondern auch deren Sekundärschaden zu berücksichtigen. Beschränkungen in Gastronomie und im Hotelwesen führen zu wirtschaftlichen Einbußen, Distanzunterricht erhöht den Betreuungsaufwand in Familien, Kontaktbeschränkungen ziehen eine für manche Menschen belastende Reduktion sozialer Kontakte nach sich, usw. Auf der anderen Seite darf aber auch der erhebliche Sekundärnutzen nicht vernachlässigt werden, der darin besteht, dass die Maßnahmen, die gegen Covid wirksam sind, auch andere respiratorisch übertragene Erreger eindämmen, was indirekt wiederum positive Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft hat.
3. Das Recht auf Leben und Gesundheit und das Problem der Abwägung gegen andere Rechte
Alle mir bekannten ethischen Systeme kommen darin überein, dass Leben und Gesundheit besonders schützenswert sind. Die Erhaltung des Lebens ist eine der vorzüglichsten Pflichten, der Mord vielleicht das schrecklichste aller Verbrechen. Daher kann ich auf eine Herleitung dieser Rechte an dieser Stelle verzichten. Aus dem Recht auf Leben und Gesundheit folgt, dass wir Handlungen, die das Leben anderer beenden, die Gesundheit anderer beeinträchtigen, oder Leben und Gesundheit anderer gefährden, unterlassen müssen. Da Covid eine Krankheit ist, die Gesundheit und Leben bedroht, sind wir verpflichtet Handlungen unterlassen, die zur Verbreitung von Coronainfektionen beitragen.
Ich könnte gleich zu der Anwendung auf die Infektionsschutzmaßnahmen, zu denen wir verpflichtet sind, übergehen, wenn sich nicht die Frage stellen würde, ob das Recht auf Leben und Gesundheit uneingeschränkt gilt und nicht – zumindest innerhalb eines gewissen Rahmens – zugunsten anderer Rechte eingeschränkt ist. So erscheint es nicht sehr plausibel, dass wir verpflichtet seien, die bloße Existenz der Person (das nackte Leben) ohne Rücksicht auf die Qualität des Lebens zu erhalten. Denn das würde bedeuten, dass der Erhaltung des Lebens im komatösen Zustand stets der Vorzug vor einem selbstbestimmten Sterben zu geben wäre. Auch ist es plausibel, dass wir gewisse Abstriche bei der Gesundheit machen können, um andere Ziele zu erreichen. Ferner können der Schutz des Lebens und der Schutz der Gesundheit sogar miteinander in Konflikt geraten – etwa wenn lebenserhaltende Maßnahmen mit starken Schmerzen oder der Beeinträchtigung kognitiver Fähigkeiten verbunden sind.
Im Folgenden werde ich diskutieren, wie sich das Recht auf Infektionsschutz (das sich aus dem Recht auf Leben und Gesundheit ableitet) gegen das Recht auf Autonomie (Selbstbestimmung) verhält. Zudem erörtere ich Aspekte der Fairness beim Infektionsschutz.
Man mag sich fragen, warum ich nicht auch von den Pflichten gegen sich selbst spreche – haben wir nicht die Pflicht, uns selbst vor schweren Krankheiten zu schützen? Ich persönlich bin geneigt, diese Frage zu bejahen. Doch aus zwei Gründen mache ich sie hier nicht zum Thema: Erstens ist es kontrovers, ob es Pflichten gegen sich selbst überhaupt gibt. Zweitens, und noch wichtiger, ergibt sich die Pflicht, sich selbst vor einer Coronainfektion zu schützen, in den meisten Fällen bereits indirekt aus der Pflicht andere zu schützen. Denn wenn man selbst infiziert ist, besteht die Gefahr, dass man andere infiziert, sofern man sich nicht isoliert.
4. Das Problem der Autonomie
Das Recht auf Autonomie – also Selbstbestimmung – kann sowohl als Argument für als auch gegen Infektionsschutzmaßnahmen betrachtet werden. Einerseits ist das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper ein Aspekt von Autonomie und schließt das Recht zu entscheiden ein, welchen gesundheitlichen Risiken man sich aussetzt – speziell, ob ich es riskiere, mich mit einem gefährlichem Virus zu infizieren. Andererseits ist es auch Autonomie, selbst zu bestimmen, ob man eine Maske trägt, ob man sich impfen lässt, usw. Der Befürworter von Infektionsschutzmaßnahmen kann sich also grundsätzlich genauso auf das Recht auf Autonomie berufen wie deren Gegner. Wenn das Recht auf Autonomie also überhaupt eine argumentative Bedeutung haben soll, dann muss es einen Weg geben, zwischen den einander widerstreitenden Interessen eine Rangfolge herzustellen und dadurch zu entscheiden, welchen von ihnen der Vorzug zu geben ist.
Bei diesem Vorhaben stößt man jedoch auf erhebliche Schwierigkeiten. Ein Versuch, eine solche Rangfolge herzustellen, könnte darin bestehen, eine objektive Rangfolge in der Wertigkeit autonomer Entscheidungen anzunehmen. Doch das widerspräche dem Grund, warum wir der Autonomie einen hohen Stellenwert einräumen. Denn autonome Entscheidungen haben nicht deswegen einen Wert, weil sie objektiv wertvoll sind, sondern weil wir uns dafür entscheiden. Wenn sich jemand zum Beispiel entscheidet, die Haare zu einem Dutt zu binden, dann müssen wir diese Entscheidung nicht deswegen respektieren, weil der Dutt für sich eine gute Idee wäre, sondern weil sie der Autonomie dieser Person entspringt. Nicht der Dutt, sondern die Entscheidung für den Dutt ist wertvoll.
Ein anderer Ansatz wäre, den Wert der autonomen Entscheidung anhand ihrer Rationalität zu bestimmen. So kann eine Entscheidung nur dann als autonom gelten, wenn sie, um ein Mindestmaß zu nennen, aus Selbstbeherrschung geschieht – es ist nicht einsichtig, warum der Wunsch des Drogensüchtigen nach Drogen respektiert werden sollte. Zudem sollte ein rationaler Entscheidungsprozess stattfinden, im Zuge dessen wir die relevanten Fakten korrekt auffassen und unsere Ziele miteinander konsistent machen. Allerdings wird durch die Rationalität der Entscheidung nicht determiniert, wofür wir uns entscheiden. Es stimmt zwar, dass wir uns nicht gegen Masken entscheiden können, wenn wir das Ziel haben, möglichst gesund zu sein. Doch was, wenn wir dieses Ziel nicht haben? Dann hindert uns nichts daran, ohne Maske in die Disco zu gehen und das Krankheitsrisiko wissentlich in Kauf zu nehmen. Auch auf diese Weise können wir demnach keine Rangordnung zwischen einander widerstreitenden autonomen Entscheidungen zu Stande bringen.
Wie könnten wir dann aber das Problem der Autonomie lösen? Ich will an dieser Stelle folgenden Vorschlag machen, ohne ihn begründen zu können: Autonomie hat einen Wert, aber sie ist nicht die einzige Sache, die einen Wert hat. Vielmehr haben alle Güter, darunter auch Gesundheit, einen objektiven Wert, aus welchem Prinzip auch immer sich dieser ableiten lässt. Autonome Entscheidungen sind je eher zu respektieren, desto rationaler sie getroffen werden und desto weniger sie mit anderen Werten kollidiert. Die autonome Entscheidung eines Patienten, eine lebenserhaltende intensivmedizinische Behandlung zu beenden (obwohl der Patient am Leben bleiben will), darf nicht als Erlaubnis zu dieser Handlung angesehen werden, weil die Handlung dem Verbot anderen zu schaden widerstreitet. Der Schutz des Lebens ist hier der größere Wert. Es ist aber eher legitim, seine Gesundheit bei einem gefährlichen Sport wie Boxen aufs Spiel zu setzen, da hier der Wert der Autonomie zu überwiegen scheint.
Ich leugne nicht die methodischen Schwierigkeiten bei der Abwägung dieser Güter, wovon ich hier nicht weiter reden kann. Aber wir wollen überlegen, wie diese Abwägung in Bezug auf Covid aussehen könnte.
5. Wie weit geht das Recht auf Schutz vor Covid?
Es lassen sich zwei Extremszenarien denken: Wenn es kein Recht auf Infektionsschutz gäbe, dann könnte sich das Virus ungebremst verbreiten. Doch ein absoluter Vorrang des Infektionsschutz würde bedeuten, dass wir uns völlig isolieren und jedweden Kontakt mit anderen Menschen vermeiden würden. (Ich rede hier vom Verhalten des Einzelnen in einer Gesellschaft ohne Maßnahmen zur Elimination des Virus. Ob der Staat die Pflicht hat, eine Elimination des Virus anzustreben, diskutiere ich weiter unten.) Dass das erste Extremszenario nicht akzeptabel ist, versteht sich im Grunde von selbst. Betrachten wir hier kurz, warum auch das zweite Extremszenario problematisch ist.
Das größte Problem daran ist, dass es sehr schwer ist, seine elementaren Lebensbedürfnisse zu befriedigen, wenn man sich völlig isoliert. Ich könnte mir zwar Essen liefern und vor die Tür stellen lassen. Doch die für viele Menschen unvermeidliche ärztliche Versorgung erfordert ein Minimum an physischen Kontakt. Ein Verzicht darauf wäre für meine Gesundheit sehr nachteilig. Auch die psychische Gesundheit erfordert in der Regel ein gewisses Maß an physischen Kontakten oder Betätigung im Freien, welche nie ganz ohne Kontakte geschehen kann. Davon abgesehen ist es für viele Menschen unerlässlich, zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts das Haus zu verlassen. Und das wirtschaftliche, staatliche und soziale Leben der Gesellschaft kann auch in einer Pandemie ohne physische Kontakte nicht aufrechterhalten werden, wovon doch zum Beispiel die Versorgung mit Nahrung abhängig ist.
Wenn auch beide Extremszenarien abzulehnen sind, dann heißt das doch nicht, dass wir uns auf der Suche nach der „goldenen Mitte“ zwischen zu viel und zu wenig Infektionsschutz zu begeben hätten. Ohne Zweifel kommt der Erhaltung von Leben und Gesundheit in der Güterabwägung ein unvergleichlich hoher Stellenwert zu – nicht allein, weil diese Güter für sich hoch zu schätzen sind, sondern auch, weil sie die Bedingung sind, unter der wir die meisten anderen Güter erst wahrnehmen können. Wer zum Beispiel bei schweren Post-Covid-Verläufen seine Belastungen reduzieren muss, wird auf viele Aktivitäten verzichten und auch seine sozialen Kontakte einschränken müssen. Es ist auch nicht außer Acht zu lassen, dass sich die meisten Menschen autonom dafür entscheiden, der Erhaltung des Lebens und der Gesundheit einen solch hohen Stellenwert zu geben – auch wenn sie in der Anwendung dieses Grundsatzes oft fehl gehen. Dennoch kommt es natürlich zu Konflikten zwischen Gesundheit und Autonomie (andere Güter können hier nicht betrachtet werden). Wir wollen an zwei Beispielen sehen, wie die Abwägung dieser Güter aussehen könnte.
Nehmen wir an, ein Ehepaar möchte gerne im Restaurant speisen. Nach reiflicher Überlegung entschließen sie sich, dies unter geeigneten Umständen zu riskieren: Bevorzugt sitzen sie draußen; geht dies nicht, dann sitzen sie nur dann drinnen, wenn nicht so viele Gäste im Raum sind; vielleicht nehmen sie sogar einen mobilen Luftfilter mit. Nach dem Restaurantbesuch benutzen sie eine antivirale Gurgellösung und in den Tagen danach achten sie noch stärker als sonst auf das Vermeiden maskenloser Kontakte. Ohne Zweifel nimmt dieses Ehepaar ein etwas erhöhtes Infektionsrisiko in Kauf, doch erscheint dieses vertretbar und lässt sich aufgrund der wohlüberlegten autonomen Entscheidung rechtfertigen.
In einem anderen Fall geht jemand jedes Wochenende in die Disco. Diese Person trägt dabei selbstverständlich keine Maske und unternimmt anschließend keine Schritte, um im Fall einer Infektion die Weitergabe von Viren zu unterbinden. Die Diskotheken selber verfügen auch nicht über Luftfilter oder andere Mittel, die der Ausbreitung von Viren entgegentreten. Wir wollen zudem annehmen, dass diese Person nicht darauf reflektiert, wie wichtig ihr der Besuch der Disco ist und wie dieser mit ihren anderen Zielen – z.B. Gesundheit – harmoniert. Hier kann man nicht sagen, dass der Infektionsschutz hinter dem autonomen Interesse zurückstehen dürfe. Denn Diskotheken bieten ideale Bedingungen für Superspreading-Ereignisse. Die Person aus diesem Beispiel ist angehalten, weniger riskante Wege zu finden, um ihren legitimen Wunsch nach sozialen Kontakten oder dem Tanzen zu befriedigen.
Es gibt also durchaus Fälle in denen sich die Zurückstellung des Infektionsschutzes rechtfertigen lässt – insbesondere, wenn dadurch nur ein geringer Anstieg des Infektionsrisikos zu erwarten ist. Doch sollte das nicht darüber hinwegtäuschen, dass aufgrund der überragenden Bedeutung der Gesundheit die Belange des Infektionsschutzes immer einen sehr hohen Stellenwert in der Abwägung haben werden. Ferner ist noch anzumerken, dass es neben dem Schutz von Gesundheit und Leben noch weitere Güter mit objektivem Wert – sei es Freiheit, sei es materielle Versorgung – gibt, die in die Abwägung einbezogen werden müssen.
6. Infektionsschutz und Fairness
Fairness ist die Klippe, an der ein reiner Utilitarismus, der nur das höchste Glück der höchsten Zahl zu verwirklichen sucht, zerschellt. Es wäre auch dann eine verabscheuungswürdige Ungerechtigkeit, einzelne Menschen wilden Tieren zum Fraß vorzuwerfen, wenn dabei die Summe des Glücks der schaulustigen Menge die Qualen der Opfer überwöge. Ebenso wenig ließe es sich rechtfertigen, besonders vulnerable Personen ihrem Schicksal zu überlassen, während der Rest – wohl in der irrigen Meinung, selbst nicht gefährdet zu sein – zu dem „normalen“ Leben vor der Pandemie zurückkehrte. Auch wenn ich mich hier nicht auf ein bestimmtes allgemeines Prinzip der Fairness festlegen möchte, verstößt der gegenwärtige Umgang mit Covid gegen jede akzeptable Auffassung von Fairness.
Es bestehen hier jedoch zwei Aspekte von Fairness, die sich nicht so einfach zueinander in Beziehung setzen lassen: erstens die faire Verteilung des Infektionsrisikos und der daraus entstehenden Schäden, zweitens die faire Verteilung der Infektionsschutzmaßnahmen.
Das Infektionsrisiko ist eigentlich das Produkt aus zwei Faktoren: der Wahrscheinlichkeit einer Infektion und der Wahrscheinlichkeit eines Schadens im Fall einer Infektion. Die Wahrscheinlichkeit einer Infektion hängt in erster Linie davon ab, welche Infektionsschutzmaßnahmen man selber beherzigt (etwa das Tragen einer Maske), aber auch von der familiär oder beruflich bedingten Exposition. Kinder und indirekt deren Familien haben besonders viele Kontakte, auch Beschäftigte im Erziehungs- und Gesundheitswesen sind besonders exponiert. Das Schadenspotenzial wiederum ist ungeachtet der Tatsache, dass grundsätzlich jeder Mensch gefährdet ist, sehr ungleich verteilt. Doch Impfungen reduzieren nicht nur die Schadenswahrscheinlichkeit, sondern ebnen auch die ungleiche Verteilung des Schadensrisikos etwas ein – auch weil Impfungen keinen guten Schutz vor Long Covid bieten und der Verlauf von Long Covid viel weniger vom Alter abhängt als der Akutverlauf.
Es ergibt sich also eine sehr ungleiche Verteilung der Wahrscheinlichkeit, durch Covid Schaden zu nehmen, die zum Teil allerdings auch vom eigenen Verhalten (etwa der Impfbereitschaft) abhängt. Solange der gesellschaftliche Wille besteht, Infektionen zu vermeiden, ergeben sich – abgesehen von Triagesituationen, die ich hier nicht diskutiere – kaum Fairnessprobleme, da die Frage nicht ist, wie der Schaden durch Infektionen zu verteilen, sondern wie er zu verhindern ist. Anders sieht es hingegen aus, wenn ein Teil der Gesellschaft sagt: Ich bin bereit, für mich ein Schadensrisiko, das ich für gering halte, in Kauf zu nehmen. Wenn diese daher auf jegliche Infektionsschutzmaßnahmen verzichten, dann gefährden sie damit Menschen, für die ein erheblich größeres Risiko bis hin zur Lebensgefahr besteht. Man kann wohl sagen, dass die Befürwortung einer solch ungleichen Verteilung von Risiken höchst unfair und nicht zu vertreten ist.
Was die Verteilung der Lasten des Infektionsschutzes betrifft, so muss diese schon deswegen fair geschehen, weil bei allen Verteilungsfragen Aspekte der Fairness zu berücksichtigen sind. Daher ist es wichtig, Berufsgruppen, die von Schutzmaßnahmen besonders betroffen sind (z.B. in der Gastronomie), eine angemessene Entschädigung zu zahlen. Es sind bei der Beurteilung der Fairness nicht nur die Maßnahmen an sich zu berücksichtigen, sondern auch, wie sehr eine Personengruppe dadurch belastet wird. Kinder und Jugendliche leiden unter Kontaktbeschränkungen vermutlich mehr als Erwachsene, daher ist es wohl besser, sie selbst auf dem Höhepunkt einer Pandemie ihnen nicht zu große Beschränkungen aufzuerlegen und umso größere Anstrengungen beim Infektionsschutz an den Orten ihres Zusammenkommens zu unternehmen.
Sollten die Lasten des Infektionsschutzes auch vom Grad der Gefährdung durch eine Infektion abhängig gemacht werden? Sicher nicht, wenn die Person ihr höheres Risiko nicht verschuldet hat. Es leuchtet nicht ein, warum jemand wegen eines fortgeschrittenen Alters oder eines Immundefekts größere Lasten auf sich nehmen sollte als andere. Doch was ist, wenn man die höhere Gefährdung selbst zu vertreten hat, etwa weil man sich nicht impfen lässt? Hier ist zunächst daran zu erinnern, dass auch Geimpfte geschützt werden müssen und sich daher durch das Verweigern von Impfungen zwar große Unterschiede in Bezug auf die Gefährdung, aber kaum in Hinblick auf die erforderlichen Schutzmaßnahmen ergeben. Aber auch sonst würde sich durch das schuldhafte In-Kauf-Nehmen von Risiken kein Recht ergeben, einen gesundheitlichen Schaden bei den betreffenden Personen herbeizuführen. Man darf ja auch keine Menschen überfahren, die bei Rot über die Ampel gehen. Aus diesem Grund erscheint z.B. das Tragen einer Ventilmaske nur in besonderen Fällen rechtfertigbar (etwa bei Asthmatikern). Da allerdings die dadurch entstehende Belastung derer, die trotzdem andere Menschen schützen, höchst unfair sein kann, ist der Staat grundsätzlich berechtigt, Maßnahmen zum Selbstschutz dieser Personen durchzusetzen (etwa durch eine Impfpflicht, wenn dies sinnvoll ist).
Bisher habe ich dafür argumentiert, dass es ein Gebot der Fairness ist, eine möglichst gleiche Verteilung der Lasten des Infektionsrisikos wie auch des Infektionsschutzes anzustreben. Doch gibt es Situationen, in denen eine gleiche Verteilung der Lasten des Infektionsrisikos zu unzumutbar hohen Belastungen auf Seiten des Infektionsschutzes führen würden? Ich lasse hier außer Acht, ob ein solches Szenario theoretisch vorstellbar wäre, denn in der Praxis kann es eigentlich nicht dazu kommen. Es ist schließlich nicht so, dass besonders vulnerable Personen besonders starke Maßnahmen zu ihrem Schutz bräuchten. Auch hier sind Masken und Luftfilter die Hauptelemente; und ein wichtiger Teil von deren Schutz besteht ohnehin darin, die Inzidenz niedrig zu halten, was also nicht nur die unmittelbare Umgebung der besonders Vulnerablen einschließt.
7. Immunität durch Infektionen?
Viele Expert:innen legen ihrer Einschätzung des Übergangs der Pandemie in die Endemie die Annahme zu Grunde, dass Covid durch Infektionen (in Verbindung mit Impfungen) allmählich zu einer Art Erkältung werde, die nur noch für wenige Personen gefährlich sei. Denn anders als die bisherigen Impfungen führten Infektionen zur Bildung von Antikörpern auf der Schleimhaut wodurch wir eine „Schleimhautimmunität“ erlangten die zusammen mit Impfungen zu einer „hybriden Immunität“ (eine begriffliche Neuschöpfung) werde. Das wird gerne mit der Behauptung verknüpft, dass auch die „Erkältungs-Coronaviren“ zunächst eine Pandemie ausgelöst hätten, bevor sie zu einem vermeintlich harmlosen Virus geworden wären. Das ermögliche es, die Infektionsschutzmaßnahmen heute auf ein Minimum zu reduzieren oder völlig abzuschaffen. Manche fügen noch hinzu, dass wir uns regelmäßig infizieren müssten, um den Immunschutz aufzufrischen.
Die These, dass die hybride Immunität eine Rücknahme der Infektionsschutzmaßnahmen ermögliche, erfreut sich in Deutschland besonderer Popularität und hat anscheinend erheblich dazu beigetragen, dass hier mittlerweile weniger Infektionsschutzmaßnahmen als in vielen anderen Ländern bestehen. Doch tatsächlich verbinden sich dabei fragwürdige wissenschaftliche Behauptungen mit abzulehnenden ethischen Annahmen.
Zunächst ist der Begriff „Immunität“ irreführend, da er ein gegenwärtig nicht erreichbares Schutzlevel suggeriert. Richtig ist, dass die hybride Immunität bei den meisten Menschen den Schutz vor schweren Verläufen und Todesfällen in der Akutphase der Infektion stark erhöht, wenn auch nur temporär begrenzt. Doch der Schutz vor Infektionen und vor Long Covid ist weit weniger ausgeprägt. Hybride Immunität verhindert also nicht, dass wir uns regelmäßig infizieren, mit Risiken und Unwägbarkeiten wie ME/CFS oder Herztode. Da auch der Schutz vor schweren Akutverläufen nach etwa sechs Monaten allmählich nachlässt, müssten wir uns alle ein bis zwei Jahre erneut infizeren, um die hybriden Immunität wieder herzustellen. Hinzu kommt das Problem, dass neue Varianten, womöglich sogar neue Serotypen, den Schutz etwas aushebeln könnten.
Bei der ethischen Beurteilung muss zwischen zwei Aspekten unterschieden werden, die in der Regel vermischt werden: Erstens die Schutzwirkung der hybriden Immunität, zweitens die Frage, ob wir die hybride Immunität gezielt herbeiführen sollten. Denn es ließe sich vielleicht die Position vertreten, dass hybride Immunität einen guten Schutz bietet, wir sie jedoch wegen der dafür erforderlichen Infektionen zu vermeiden haben. Wegen der oben beschriebenen Risiken, die immer noch bestehen, ist jedoch klar, dass Schutzmaßnahmen auch bei hybrider Immunität eines großen Teils der Bevölkerung das kleinere Übel sind – insbesondere, da immungeschwächte Personen auch vor schweren Akutverläufen und Todesfällen nicht gut geschützt sind.
Doch wir wollen annehmen, hybride Immunität würde einen hinreichenden Schutz bieten, um weiteren Infektionen unbesorgt entgegensehen zu können – dürften dann Infektionen auf Basis einer vollständigen Impfreihe gleichsam als Public-Health-Maßnahme empfohlen werden? Nein, denn dann müssten Infektionen den gleichen Sicherheitsanforderungen genügen wie Impfungen oder Medikamente. Es ist aber offenkundig, dass ein Impfstoff mit dem Nebenwirkungsprofil einer Infektion auch dann nicht zugelassen würde, wenn die Risiken durch vorhergehende Impfungen vermindert würden. Zudem ist die Erforderlichkeit dieser Maßnahme fraglich, da eine verbesserte Schutzwirkung auch durch Impfstoffe der nächsten Generation (insbesondere Schleimhaut-Impfstoffe) erfolgen könnte. Besonders verwerflich ist es, eine breite Hybridimmunität durch Durchseuchung der Kinder herbeiführen zu wollen, ohne ihnen und ihren Familien die Entscheidung über die damit verbundenen gesundheitlichen Risiken zu überlassen.
Man kann auch nicht argumentieren, dass wir uns (ggf. mehrmals) infizieren müssten, damit SARS-CoV-2 zu einem weiteren „Erkältungs-Coronavirus würde. Denn erstens ist die Analogie mit den vier „Erkältungs-Coronaviren“ (die so harmlos aber gar nicht sind) unzulässig: Wir wissen schlicht nicht, ob diese Viren im pandemischen Zustand mit SARS-CoV-2 vergleichbar waren. (Selbst bei OC43 erscheint zwar plausibel, dass dieses Virus ein erhebliches pandemisches Ereignis ausgelöst hat – wenn auch eher nicht die Russische Grippe – doch dürfte dies bei weitem nicht an unsere Coronapandemie heranreichen.) Die weitere Entwicklung des Krankheitsgeschehens ist also ungewiss und müsste aus den Eigenschaften von SARS-CoV-2 selbst hergeleitet werden. Wenn man auf die Hoffnung, dass SARS-CoV-2 allmählich wegen zunehmender Immunität harmlos würde, eine Politik gründen wollte, so müsste man diese Entwicklung wissenschaftlich begründen können, und zwar aus den Eigenschaften von SARS-CoV-2 selbst – doch ein solcher Nachweis ist noch nicht erbracht worden. Zweitens wäre der Preis für diese Politik in jedem Fall wegen der damit verbundenen Infektionsrisiken zu hoch. Das gilt umso mehr, als nicht nur wir heute, sondern auch alle nachfolgenden Generationen eine Reihe von Infektionen durchmachen müsste, bevor sie „immun“ würden.
8. Infektionsschutz und die Pflichten des Staates
Es ist ein anerkanntes Prinzip, dass der Staat dafür Sorge tragen muss, dass die in seinem Gebiet lebenden Personen keinen ernsthaften gesundheitlichen Schaden tragen, sofern sich das verhindern lässt. Es ist ebenfalls ein anerkanntes Prinzip, dass der Staat Handlungsfreiheit und Autonomie der auf seinem Gebiet lebenden Personen zu schützen und zu fördern hat. Aus beidem folgt, dass der Staat zu Infektionsschutzmaßnahmen gegen Covid verpflichtet ist. Denn Covid stellt eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben dar. Und es beschränkt die Handlungsfreiheit sowie die Autonomie in hohem Maße, wenn man nicht selbst bestimmen kann, welchen gesundheitlichen Risiken man sich aussetzt.
Man kann Infektionsschutz nicht zur Privatsache erklären. Das mag bei Rhinoviren angehen, aber nicht bei Covid. Denn man kann sich nicht selbst hinreichend schützen, es sei denn unter unzumutbaren Bedingungen. Nur der Staat mit seiner Fähigkeit, Anliegen des Gemeinwesens zu organisieren und mit Zwangsrechten durchzusetzen, kann für hinreichenden Infektionsschutz sorgen. Man kann auch nicht sagen, die Pflicht des Staats beschränke sich nur auf die Gewährleistung minimaler Gesundheitsziele – etwa dass die Intensivstationen ausreichend Kapazitäten haben. Abgesehen davon, dass in der gelebten Praxis der Gesundheitsämter die Bekämpfung von Schimmel und Kopfläusen einen durchaus hohen Stellenwert hat, gibt es überhaupt keinen Grund, sich mit einem so unambitionierten Ziel zufrieden zu geben. Das Kriterium der betreibbaren Intensivbetten wären damit vereinbar, dass sehr viele Menschen unnötig sterben oder schwer erkranken. In der Güterabwägung sind Infektionsschutzmaßnahmen eindeutig das kleinere Übel. Man müsste eine ins Libertäre gehende Staatsphilosophie vertreten, um Infektionsschutz generell als dem privaten Bereich angehörig ansehen zu können. Ferner würde es nicht einem liberalen Rechtsstaat entsprechen, wenn eine Mehrheit entscheiden würde, von nun an mit Covid leben zu wollen, und die Interessen und Rechte der Minderheit, die das nicht will, keine Bedeutung hätten.
Welche Maßnahmen sind nun vom Staat durchzusetzen? Das kann hier nur in groben Zügen angerissen werden, weil in der Anwendung der ethischen Prinzipien viele schwierige Details, die empirisch vorgefunden werden, berücksichtigt werden müssen. Eine Verbesserung der Raumluftqualität durch Luftaustauschsysteme oder mobile Luftfilter wäre eine wirksame Maßnahme von nur geringer Eingriffstiefe. Die nicht unerheblichen Kosten dürften durch den wirtschaftlichen Nutzen, der durch die Reduzierung von Personalausfällen entsteht, aufgefangen werden. Der Staat sollte daher verpflichtende Kriterien und Maßnahmen zur Luftreinhaltung durch solche Geräte in öffentlichen Räumen und Verkehrsmitteln beschließen. Allerdings lässt sich das Vorhaben nicht kurzfristig realisieren und es bedarf bis zu seiner Realisierung anderer Maßnahmen, die den Mangel an Luftfiltern und dergleichen kompensieren.
Eine andere Maßnahme mit etwas mehr Eingriffstiefe, die aber sofort umgesetzt werden könnte, wäre eine Maskenpflicht. Eine Maskenpflicht erscheint besonders in Bereichen unerlässlich, die hochvulnerable Personen nicht meiden können und wo sie sich nicht selbst durch eine Maske schützen können. Dies ist in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen der Fall. Doch bis zur Realisierung eines umfassenden Luftreinigungsplans ist eine weitergehende Maskenpflicht erforderlich. Es bietet sich daher an, zu den früheren Regelungen der Maskenpflicht zurückzukehren. Ergänzt werden sollte jedoch, dass die Maskenpflicht wegen der besonderen Bedeutung von Schulen für das Infektionsgeschehen bis auf Weiteres auch dort gilt und im Regelfall Masken von höherer Qualität (also mindestens FFP2-Masken) getragen werden müssen. Es ist nicht einzusehen, warum mit Masken eine besondere psychische Belastung verbunden sein sollte, sofern man darin nicht ein Zeichen der Unterdrückung oder dergleichen sieht. Niedrigschwellige Angebote zur Versorgung mit hochwertigen Masken erscheinen sinnvoll. Ferner muss das Tragen einer Maske ausnahmslos erlaubt sein und darf nicht durch das Arbeits- oder Hausrecht beschränkt werden können.
Unerlässlich wird auch die Isolation von Infizierten und die Quarantäne von Kontaktpersonen. Da den von diesen Personen betroffenen Maßnahmen allerdings ein erheblicher Nachteil entsteht, sind die Isolations- und Quarantänezeiten möglichst kurz zu halten. Es dürfen keine Nachteile durch die Abwesenheit vom Arbeitsplatz entstehen; Eltern benötigen großzügige Kinderkrankentage-Regelungen. Ohnehin darf der Arbeitsplatz nicht von Infektionsschutzregelungen ausgenommen werden. Die Möglichkeit zum Homeoffice sollte gesetzlich festgeschrieben werden, sofern die Tätigkeit das zulässt.
Eine weitere Aufgabe des Staats liegt in der Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten und Impfstoffen. Staatliche Institutionen wie die STIKO haben bei ihren Beurteilungen und Empfehlungen den aktuellen Forschungsstand und alle Aspekte einer Schädigung durch Covid mit dem Ziel größtmöglichen Schutzes zu berücksichtigen. Die Entwicklung weiterer Medikamente und Impfstoffe ist umfassend zu fördern, auch zur Behandlung von Long Covid. Die Versorgung von Long Covid-Patient:innen muss nicht nur therapeutisch, sondern auch in Hinblick auf Pflege und die Erledigung von Alltagstätigkeiten sichergestellt werden. Zudem ist eine Überwachung des Infektionsgeschehens durch geeignete Maßnahmen (z.B. Sentinel- und Abwassertests sowie Sequenzierungen) sicherzustellen.
Weitergehende Infektionsschutzmaßnahmen – oder sogar einen sogenannten „Lockdown“ – wird man nur dann benötigen, um eine besonders besorgniserregende Variante einzudämmen oder eine akute Überlastung der Notfallversorgung zu verhindern. Denn zur weltweiten Eliminierung dürften die oben genannten Maßnahmen zwar grundsätzlich ausreichend sein, wenn sich alle Staaten daran beteiligten (wobei man dann noch Eintragungen aus dem Tierreich begegnen müsste). Doch ein einzelner Staat ist nicht verpflichtet, das Virus in seinem Territorium zu eliminieren, wenn das Verhalten der anderen Staaten diesen Zweck längerfristig vereitelt. Daher ist in diesem Stadium kein Staat als einzelner mehr verpflichtet, eine Eliminierung durch Lockdownmaßnahmen anzustreben.
9. Schluss
Wir mögen nun in der Endemie sein oder nicht – Covid bleibt eine ernstzunehmende Krankheit, auch für Geimpfte und hybrid Immunisierte. Covid ist gefährlich für alle, nicht nur für die besonders Vulnerablen. Und die Gefährdung beim Akutverlauf, Long Covid und unkalkulierbare Langzeitfolgen scheinen je für sich hinreichend zu sein, um Coronainfektionen vermeiden zu müssen. Da man sich selbst nicht hinreichend schützen kann, ist eine staatliche Niedriginzidenzstrategie erforderlich – zumindest bis bessere Impfstoffe einen sehr guten Schutz bieten.
Doch wie reagiert unsere Gesellschaft auf diese Herausforderung? Mit Selbstbetrug und der Diskriminierung besonders vulnerabler Personen. Wir betrügen uns selbst, wenn wir glauben, Covid sei zu einem beherrschbaren Problem mit kleinen Restrisiken geworden. Und wir diskriminieren besonders Vulnerable, wenn wir ihr Leben und ihre Gesundheit aufgrund ihrer höheren Gefährdung für weniger schützenswert erachten. Wir mögen meinen, es ließe sich nicht verhindern, dass ein Teil der Menschen unter die Räder kommt. Doch in Wirklichkeit könnten wir ohne allzu großen Aufwand dafür sorgen, dass Covid kein großes Problem mehr sein wird. Wir müssten es nur wollen.
Man mag einwenden, ich wollte neue moralische Standards für den Umgang mit Krankheiten einführen. Aber das Gegenteil ist der Fall. Es war solange unstrittig, dass wir gegen schwere Krankheiten Schutzmaßnahmen ergreifen müssen, wie wir nicht von einem so leicht übertragbaren pandemischen Virus herausgefordert wurden. Sauberes Wasser und sichere Lebensmittel sind keine Selbstverständlichkeit, sondern das Ergebnis großer Anstrengungen zur Verbesserung der öffentlichen Gesundheit – teilweise gegen erhebliche Widerstände. Jetzt müssen wir auch für gesunde Luft sorgen.
Hingegen bestürzt es, dass ein großer Teil der Gesellschaft zu glauben scheint, es könne jeder selbst für seine Gesundheit sorgen – und wer das nicht kann, hat halt Pech gehabt. Man fragt sich, wohin das noch führen soll, wenn es nicht nur auf Covid bezogen und zu einem allgemeinen Prinzip erhoben wird, das zum Beispiel auch im Verkehrswesen gelten soll. Dabei entspricht es unseren gewöhnlichen ethischen Pflichten, auf die Gesundheit anderer Rücksicht zu nehmen. Wenn wir meinen, wir müssten lernen mit Corona zu leben, dann suchen wir nach „Cheat-Codes“, um unseren gewöhnlichen Pflichten zu entkommen. Doch diese Cheat-Codes gibt es nicht.
Die psychologischen Mechanismen hinter unserem Umgang mit Covid sind erklärbar. Doch wir müssen unsere Pflichten erkennen und als moralisch zurechenbare Wesen entsprechend handeln.
Sie Schwachkopf haben nicht die geringste Ahnung von Masken!
Zunächst einmal ist SARS-CoV-2 noch immer als Humanpathogen der Risikogruppe 3 eingeordnet (https://www.baua.de/DE/Angebote/Regelwerk/TRBA/TRBA-462.html). Selbstgehäkelte, medizinische und selbst FFP2 sind nicht geeignet vor Pathogenen der Risikogruppe 3 zu schützen. Zum Schutz vor pathogenen der Risikogruppe 3 wird mindestens eine FFP3 empfohlen.
Jeder Mensch ist individuell, das betrifft auch die Kopf- und Gesichtsform, deswegen gibt es für Atemschutzgeräte schon ewig die sogenannte Dichtsitzprüfung. Dabei wird getestet, welcher Respirator am besten zur persönlichen Kopfform passt und am Gesicht abdichtet, damit überhaupt erst ein Minimum an Schutz gewährleistet werden kann. Ein Respirator, der nicht durchgängig dicht sitzend getragen wird, kann nicht schützen. Deppen wie Sie verstehen einfach nicht was Aerosole sind, Aerosole sind etwa 5 Mikrometer groß und können mehrere Wochen bis sogar Monate infektiös in der Raumluft verbleiben. Sie können sich also jederzeit beim Essen und Trinken in geschlossenen Räumen infizieren.
Zudem seid nichtmal ihr erwachsenen Panikdeppen dazu in der Lage euren Gesichtslumpen richtig zu tragen, dazu gehört ürbigens auch Händewaschen vor jedem Anfassen der Maske, bei Männern auch noch ein täglich frisch rasiertes Gesicht, aber ihr verlangt das Kinder dazu in der Lage sind um euch Vollidioten zu schützen. Mir hat bis heute noch niemand erklären können weshalb er kein Problem damit hat sich beim Essen und Trinken oder zu Hause bei der Familie oder freunden zu infizieren aber er sich auf gar keinen Fall beim shoppen, arbeiten oder in einer vollen S-Bahn infizieren möchte. SARS-CoV-2 ist gekommen um zu bleiben und ihr könnt mit eurem Viruswahn nicht ewig die gesamte Gesellschaft in Geiselhaft halten. Ihr hattet und habt alle die Gelegenheit euch regelmäßg durchzuboostern und freiwillig zum Selbstschutz eine Maske eurer Wahl zu tragen. Irgendwann muss jetzt auch mal wieder Vernunft einkehren und ihr müsst aufhören andere in eure Viren-Neurose reinzuziehen.
Der Unmut über euch Panikdeppen wächst in großen teilen der Bevölkerung immer mehr , ihr müsst jetzt endlich mal wieder zur Vernunft kommen!