„Die Logik des Misslinges“ von Dietrich Dörner ist ein empfehlenswertes Buch, in dem anschaulich erklärt wird, warum Menschen immer wieder Fehlentscheidungen treffen. Mich hat das Buch inspiriert, die Entscheidungen der Bundesregierung im Ukraine-Konflikt in Frage zu stellen und möchte im Folgenden das Argument führen, dass sie nicht professionell getroffen wurden.
Ob sie die offiziell deklarierten Ziele erreichen werden - Russland in der Ukraine militärisch in die Knie zwingen und der Demokratie zum Sieg verhelfen – sei dahingestellt und soll hier nicht weiter diskutiert werden. Die existenziellen Auswirkungen, die die wirtschaftliche Isolierung Russlands für unsere Menschen nach sich ziehen, lassen für mich keinen Zweifel. Es waren und sind Fehlentscheidungen.
Preisexplosionen bei den Dingen des täglichen Lebens belasten schon jetzt viele Menschen über das Aushaltbare hinaus, Hinzu kommt eine unwägbare Energieversorgung, die für die Zukunft Schlimmeres befürchten lässt und Angst macht. Wenn man dann noch die 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr hinzunimmt, die dem Zweck dienen soll, Zitat aus dem Kanzler-Eid „…Verfassung und Recht … zu verteidigen“, dann stellt sich die Frage, was es noch zu verteidigen gibt, wenn große Teile der Bevölkerung auf unabsehbare Zeit wirtschaftliche Not erleiden müssen und in der Folge der soziale Frieden gefährdet wird. Die Wirtschaftsentscheidungen jetzt sind nur hilfloses Flickwerk. Man ist nicht bereit einzugestehen, dass die großen Entscheidungen im Ukraine-Konflikt katastrophale Fehlentscheidungen waren. Das ist nicht nur eine Meinung, sondern lässt sich wissenschaftlich über die Systemtheorie begründen. Wie wir situationsbezogen zu vernünftigen Entscheidungen kommen, soll im Folgenden an praktischen Beispielen erläutert werden.
Erstes Beispiel: Segeln
Sie stehen an der Ruderpinne eines Segelbootes und wollen von See kommend den Hafen ansteuern. An der Hafeneinfahrt befindet sich ein Leuchtturm, der von weitem sichtbar ist. Sie steuern das Boot so, dass der Bug des Bootes auf den Leuchtturm zeigt. Wenn der „auswandert“, steuern sie so lange dagegen, bis der Leuchtturm sich nicht mehr bewegt. Jetzt sind sie auf Kurs zum Hafen. Das System, in dem sie sich bewegen und sie zu Entscheidungen zwingt, besteht beim Segeln aus zwei Komponenten, Strömung und Wind. Das System ist einfach. Die Dynamik von beiden können sie über die Steuerinputs an der Ruderpinne ausgleichen. Das System ist stabil. Sie entscheiden nach dem Ursache/Wirkung-Prinzip.
Zweites Beispiel: Das Brettspiel Mensch-Ärgere-Dich-Nicht
Das System, in dem Sie Entscheidungen treffen müssen, besteht aus den Komponenten 4 Figuren, einem Würfel und den Mitspielern. Das System ist einfach. Alles, was sie kontrollieren können, sind ihre 4 Figuren, nicht jedoch den Würfel und die Mitspieler. Bei Nichtvorhersagbarkeit von Systemkomponenten nennt man ein System instabil. Man entscheidet nach dem Versuch/Irrtum Prinzip.
Drittes Beispiel: Wirtschaftsunternehmen
Das System, in dem Entscheidungen zu treffen sind, besteht aus vielen Komponenten. Die übergeordneten Bereiche, die sich in weitere Systemkomponenten verzweigen, sind Organisation, Einsatz, Controlling, Technik, Logistik, Marketing und Personalentwicklung. Es ist ein komplexes System. Ein gutes Management ist in der Lage, durch entsprechende Entscheidungen in die Systemkomponenten einzugreifen, damit das System funktioniert. Das System ist stabil. Es funktioniert nach dem Prinzip Steuern und Regeln.
Viertes Beispiel: Wirtschaftsunternehmen vor dem Ruin
Nun passiert es immer wieder, dass ein Wirtschaftsunternehmen in die roten Zahlen kommt und in den Ruin treibt. Das komplexe System ist instabil geworden. Wenn Steuern und Regeln nicht mehr funktionieren, ist Veränderung angesagt. In einer solchen Situation braucht es weise Führung. Sie erkennt, dass man nicht so weiter machen kann wie bisher und wagt den Musterbruch (aufgeben des gewohnten alten). Sie versteht, dass man neue, erfolgreiche Wege nur finden wird, wenn man die Energie der Menschen im Unternehmen nutzt. Damit ist nicht nur eine Vernetzung von Hirnengemeint, sondern vor allem die der Herzen. Ohne Moral, Werte und Sinngebung würde Veränderung als Management-Projekt verkümmern. Ein Team kann Gipfel erklimmen, eine Gemeinschaft Berge versetzen. Wenn man ihr klare Ziele und weitgefasste Rahmenbedingungen vorgibt und den Einzelnen motiviert, sich zu trauen, selbstständig zu denken und im Sinne des Ganzen zu kommunizieren und zu handeln, besteht die Möglichkeit, dass am Ende etwas Neues, Lebensfähigeres entsteht. In der Systemtheorie nennt man das Selbstorganisation. Die Natur kennt das Prinzip. Wenn ein Hirn durch einen Unfall geschädigt wurde, übernehmen Zellen aus anderen Bereichen die Funktionen der zerstörten. Auf diese Weise erfüllt das Hirn seine Hauptaufgabe: Überlebenssicherung seines Systems ´Mensch`. – Bis zum Neuen braucht es viel Liebe, Gewöhnung und Zeit. Genau das gleiche gilt für ein Unternehmen in der Veränderung. Auf dem Weg in eine neue Stabilität kann es keine große Entscheidungen geben, immer nur den nächsten Schritt. Der prominente Psychologe und Unternehmensberater Peter Kruse nennt diese Entscheidungsform „NextPractice“. – An dieser Stelle möchte ich zu den Fehlentscheidungen der Bundesregierung zurückkommen. Wenn man die 4 Formen systemischer Entscheidungsfindungen auf die Entscheidungen der Bundesregierung im Ukraine-Konflikt anwendet, was glauben Sie wohl, nach welchem Entscheidungsprinzip ist man vorgegangen? –
Das System, in dem es zu entscheiden galt und gilt, nennen wir das Internationale System. Es besteht u.a. aus Staaten, Regierungen, Organisationen, Bevölkerungen und Ökonomien. Wir haben es also mit einem komplexen System zu tun. Jedes System besteht aus einer Vielzahl von Komponenten, die sich gegenseitig beeinflussen. Eine Vorhersagbarkeit ihrer Verhalten ist prinzipiell unmöglich. Das Internationale System muss daher als instabil gelten.
Die Fehlentscheidungen der Regierung lassen sich meiner Meinung darauf zurückführen, dass man das Internationale System für komplex und stabil gehalten hat. Man glaubte, über Steuern und Regeln das System wie gewünscht beeinflussen zu können. Im Konkreten: Wenn man Herrn Putin über Wirtschaftssanktionen bestraft und die Ukraine mit schweren Waffen ausrüstet, würde der seine Truppen aus der Ukraine zurückziehen. Eine andere schlimme Variante wäre, dass man das System für einfach und instabil gehalten hat. Wir isolieren Russland wirtschaftlich und bewaffnen die Ukrainer und hoffen, dass es bei Herrn Putin seine Wirkung tut. Versuch und Irrtum.
Nun, die russische Armee ist immer noch in der Ukraine. Herr Putin ist entschlossen, trotz aller Entscheidungen des Westens seine Ziele mit Gewalt durchzusetzen. Die Wirtschaftssanktionen gegen Russland bringen Leid und Not über unsere Bevölkerungen. Daraus folgt doch, dass nur das Entscheidungsprinzip „NextPractice“ in Frage kommt. Dazu bedarf es viel Empathie (Liebe), Geduld (Übung) und Zeit. Vor allem braucht es weise Führung, und die ist nirgendwo zu sehen. Welche Entscheidungen im Ukraine-Konflikt hätten getroffen werden müssen, überlasse ich Ihrer Bewertung.